"Wir recherchieren selbst"

■ Ab heute kann in Algerien das Oppositionsblatt "La Nation" wieder erscheinen. Zwei andere Zeitungen allerdings müssen weiter pausieren

18 Monate hat Chefredakteurin Salima Ghezali auf diesen Augenblick gewartet. 18 lange Monate konnte die wichtigste Informationsquelle und ein Diskussionsforum der algerischen Demokraten nicht erscheinen. Doch ab heute soll die Wochenzeitung La Nation wieder erscheinen. Schuld an der Pause waren die staatlichen Monopoldruckereien, die sich weigerten La Nation zu drucken, solange diese angebliche Schulden nicht bezahlt. Nun hat sich das staatliche Monopol bereit erklärt, darüber neu zu verhandeln – und La Nation vorerst wieder zu drucken.

„Es handelte sich um ein politisches Manöver, um uns zum Schweigen zu bringen“, ist sich Salima Ghezali sicher. Ob Artikel gegen den Militärputsch 1992, Appelle für die Wiederzulassung der damals verbotenen Islamischen Heilsfront (FIS) oder Dossiers über Folter, Massenerschießungen und Verschwundene, La Nation nahm nie ein Blatt vor den Mund. Zehnmal mußte die Wochenzeitung zwischen 1994 und 1996 auf Anweisung der Behörden ihr Erscheinen einstellen, bis dann im Dezember 1996 unter dem Vorwand der Druckschulden das endgültige Aus kam. Ghezali erhielt für ihre unerschrockene Berichterstattung ein Jahr später vom Europaparlament den „Sacharow-Preis für die Freiheit des Geistes“.

Der Augenblick des Einlenkens der Staatsdruckerei ist günstig gewählt, um die Presselandschaft zu spalten. La Nation kommt ausgerechnet in einem Moment wieder auf den Markt, in dem bei zwei anderen Blättern, den Tageszeitungen El Watan und Le Matin, die Redakteure seit drei Wochen Däumchen drehen. Auch sie können wegen angeblich offener Druckrechnungen nicht erscheinen. Beide Zeitungen hatten mit ihren Veröffentlichungen „gegen Korruption und Amtsmißbrauch“ dafür gesorgt, daß der Berater von Präsident Liamine Zéroual, Ex- General Muhammad Betchine, seinen Hut nehmen mußte. Fünf weitere Zeitungen traten aus Protest gegen die Zwangspause von El Watan und Le Matin in einen unbefristeten Ausstand.

Nicht so La Nation, die Zeitung, die ausgerechnet jetzt wieder an die Kioske geht. Ist die Chefredakteurin eine Streikbrecherin? „Als wir immer wieder verboten wurden, haben die anderen uns jämmerlich im Stich gelassen“, erinnert sich Salima Ghezali. La Nation stand damals allein mit ihrer Kritik an der Politik von Präsident Zéroual und Berater Betchine. Während die unabhängige Tagespresse die Repression gegen die bei den Wahlen von 1991 siegreiche FIS verteidigte, unterstützte Ghezalis Blatt als einzige Zeitung eine Verständigung aller Oppositionsparteien mit der FIS. Ghezali wurde von ihren Kollegen als „Radikale“ und „Islamistenfreundin“ gemieden. Das Tauziehen zwischen El Watan und Le Matin auf der einen Seite und der Regierung auf der anderen ist für die Chefin von La Nation nichts weiter als „ein Streit zwischen den verschiedenen Machtclans“.

„Da haben wir uns immer herausgehalten. Die Grundlage unsere Arbeit ist die Verteidigung der demokratischen Freiheiten aller Algerier vom arbeitslosen Jugendlichen bis hin zum wirtschaftlichen Superstar.“ Deshalb werde sie sich auch weiterhin weigern „wie die anderen einfach das zu veröffentlichen, was uns von oben vorgesetzt wird. Wir haben immer darauf bestanden, selbständig zu recherchieren.“

Ihrer Arbeit gingen die Journalisten von La Nation auch während der Zwangspause nach. Sie veröffentlichten in französischsprachigen Blättern in Europa oder legten detaillierte Untersuchungen über die Massaker in Buchform vor. „Wir haben vor allem Dank der internationalen Solidarität überlebt“, sagt Ghezali. In einem Ordner hat sie fein säuberlich die Seiten abgelegt, die unter dem Kopf der La Nation in Zeitungen wie Libération (Paris), Le Soir (Brüssel) oder Le Matin (Lausanne) erschienen sind. Die Finanzierung des Blattes, das auch weiterhin gänzlich auf Werbung verzichten will, soll durch eine internationale Abokampagne gesichert werden. Dabei kann Ghezali vor allem auf die Unterstützung der Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen bauen. Auf deren Web-Site wird ein Link auch den europäischen Lesern das Schmökern im unabhängigsten aller algerischen Blätter ermöglichen (http://www.rsf.fr).Reiner Wandler