Taktiken eines TV-Kommissars

■ EU-Mitgliedstaaten lehnen Einmischung von Karel van Miert in die Rundfunkpolitik ab

Eigentlich war Karel van Miert aus Sicht von ARD und ZDF bisher immer einer von den Guten. Schützend hatte er sich erst vor die beiden öffentlich-rechtlichen Spartenprogramme, den Kinderkanal und das Parlamentsfernsehen Phoenix gestellt. Dann war er als wackerer Ritter zwischen die Medienkonzerne Kirch und Bertelsmann gefahren und hatte ihnen ein Digital-Kartell verboten, mit dem sie über den Fernsehmarkt der Zukunft herrschen und die öffentlich- rechtlichen Konkurrenten an den Rand drängen wollten. Um so größer war die Verwunderung, als die EU-Wettbewerbsbehörde Ende September ein Papier vorlegte, nach dem die Öffentlich-Rechtlichen den Privatsendern nicht mehr mit Geldern aus Rundfunkgebühren Konkurrenz machen dürfen.

Mit Gebühren sollen sie nicht mehr um attraktive Sportrechte mitbieten können, hieß es aus der Brüsseler Behörde. Sport und Shows dürften aus Wettbewerbsgründen allenfalls über Werbegelder bezahlt werden. Doch weil ARD und ZDF in Deutschland nur einen kleinen Teil ihrer Etats mit Reklamegeldern bestreiten, würde die Beschränkung bedeuten, daß sie sich gleich aus dem Milliardengeschäft um Sportrechte verabschieden könnten. Dies könne durch eine Richtlinie geregelt werden, schlugen die Kommissionsbeamten weiter vor.

WDR-Intendant Fritz Pleitgen wollte nicht recht glauben, daß van Miert überhaupt etwas Böses will. Das Papier sei sicherlich nicht vom Kommissar selbst, sondern „tief im Beamtenapparat geboren“. Und so, erklärte Pleitgen, sei die Sache auf einen „völlig falschen Trip“ geraten.

Noch lauter klang der Aufschrei der Bundesländer, in deren Hoheit in Deutschland das Rundfunkrecht fällt. Sie fürchten, daß Brüssel ihre Kompetenzen beschneiden will. Reinhard Klimmt, SPD-Fraktionschef im Saarland und Chef der SPD-Medienkommission, erklärte: „Wie wir unsere Rundfunksystem regeln, entscheiden wir selber.“

Ähnlich fielen die Reaktionen der EU-Staaten aus. Bis Dienstag abend saßen ihre Delegationen in Brüssel mit Beamten der Wettbewerbsbehörde zusammen, um ihre Meinung kundzutun. So ziemlich jeder der 15 EU-Staaten habe an dem Vorschlag der Kommission etwas anderes zu mäkeln gehabt, hieß es aus Delegationskreisen. Der Grundtenor: Die Staaten wollen sich nicht in ihre Rundfunkpolitik reinreden lassen. Einige Staaten, darunter Großbritannien und Italien, boten lediglich an, eine getrennte Buchführung bei den einzelnen Programmsparten einzuführen. Ein ziemlich unrealistischer Vorschlag: Wer soll beurteilen, wo die Kommerzware anfängt und wo die Kultur aufhört?

Der Wettbewerbskommissar will als nächstes die kommerziellen Fernsehveranstalter anhören. Sender aus Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Portugal und Großbritannien hatten Wettbewerbsklagen erhoben. Einmal war van Miert sogar von einem EU- Gericht verurteilt worden, weil er gar nicht entschieden hatte.

Das könnte erklären, warum der Kommissar mit den brisanten Vorschlägen überhaupt den Streit auslöste. Stellt er sich auf die Seite der Öffentlich-Rechtlichen und ignoriert die Beschwerden der Privaten, lastet nur unnötiger Druck auf ihm. So kann er komfortabel den Privaten die Positionen der EU-Staaten vorhalten und umgekehrt. Gleichzeitig bringt er eine Diskussion über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für den öffentlichen Rundfunk in Europa in Gang. Der Kommissar, hieß es aus seiner Umgebung, werde die Idee nicht aufgeben, für die Tätigkeit der Öffentlich-Rechtlichen in der EU einheitliche Richtlinien zu schaffen. Kein Wunder: Solche Richtlinien würden dem Kommissar Macht auf einem zusätzlichen Feld geben. Georg Löwisch