Kleider, Kreuze und Kapuzen

So viele Nonnen gibt es sonst nur im Kloster: Bei den Pariser Prêt-à-porter-Schauen herrschte der Trend zur neuen Keuschheit und die Angst vor der Weltwirtschaftskrise. Anstatt die Macht des weiblichen Körpers zu feiern, werden die Models in dichte Schleier gehüllt  ■ Von Anja Seeliger

Die Mode für den nächsten Sommer hat verblüffende Ähnlichkeit mit dem Regierungsprogramm der rot-grünen Koalition. Kleinmütig, phantasielos und verlogen bis auf die Knochen. Erst Versprechungen auf einen Wandel und dann, wenn es ernst wird, war alles nicht so gemeint.

Vor einem Jahr wurden Modedesigner nicht müde zu behaupten, eine Frau könne heutzutage Karriere machen und ihren nackten Busen zeigen. Das sei nicht sexistisch, sondern – ganz im Gegenteil – ein Zeichen von Stärke. Wer in die starren Gesichter der Models sah, die in durchsichtigen Chiffonkleidern über den Laufsteg schritten, konnte das mit gutem Grund bezweifeln. Dann kam Monica Lewinsky und siehe da: Die Designer hatten doch recht. Diese Affäre bewies vor allem zweierlei: 1. Der weibliche Körper ist eine ungeheure Macht, 2. Einem Präsidenten namens Hillary wäre das nie passiert.

Kein Designer hat diese amerikanische Affäre aufgegriffen. Statt dessen waren sie zu Tode erschrocken. Keuschheit heißt der neue Trend. So viele Nonnen wie bei diesen Pariser Modeschauen sieht man sonst nur im Kloster. Eric Bergère legte seinen Models ein weißes Tuch übers Haar. Dann hüllte er sie in weite sackartige Kleider, die in der Taille mit etwas gegürtet waren, das wie ein Strick aussah. Die Mäntel hatten auf der Rückseite einen Spitzeneinsatz in Form eines großen Kreuzes. Eine Nonne hat fast jeder Designer im Programm. Selbst Thierry Mugler, der Frauen sonst gern in scharfe Karossen verwandelt, zeigte ein weißes Kleid, dessen Kapuze wie ein Schleier fiel.

Es ist traurig, aber auch die weiblichen Designer hatten nicht den Mut, die Lewinsky-Affäre auszunutzen. Statt die Macht des weiblichen Körpers zu feiern, bastelten Ann Demeulemeester und Martine Sitbon lieber an neuen Materialien, die seltsam steif ausfielen. Bei den Schauen im März, als die Wintermode, die jetzt in den Geschäften hängt, vorgestellt wurde, hat Demeulemeester Wickelkleider aus weichem Jersey vorgeführt, die ungezwungen von der Schulter glitten. Ihre Sommerkollektion greift diese Wickeltechniken wieder auf, aber diesmal hat sie steife Materialien benutzt, die fast wie ein Zylinder um den Körper stehen. Veronique Branquinho ging noch einen Schritt weiter: „Ich mag es nicht, wenn Frauen zuviel von ihrem Körper zeigen. Ich wollte ihnen das Mysteriöse wiedergeben“, erklärte die belgische Designerin im französischen Fernsehen. Branquinho hüllte ihre Models in immer dichtere Schleier, bis sie auch in Afghanistan unbelästigt geblieben wären.

Immerhin – Branquinhos Kollektion war ein radikales Manifest. Die meisten Designer feierten das behütete kleine Mädchen. Es gab unzählige Bauernröcke, Rüschenblusen und pastellfarbene Blousons, getreu dem Motto: Geh auf den Spielplatz, aber mach dich nicht dreckig. Diese unauffälligen, bescheidenen Zierpuppen spiegelten keine modernen Frauen wider, sondern die Angst der Designer vor der Weltwirtschaftskrise.

Es ist hochinteressant, die Frauenmode mit den Männerkollektionen zu vergleichen, die im Juli in Paris gezeigt worden waren. Dort sah man prächtig gekleidete, unkonventionelle und verführerische Männer, die offensichtlich drauf und dran waren, die zusammenspekulierte Kohle zu verjubeln. Was für ein Kontrast zu den bescheiden gekleideten Frauen! Im wadenlangen Volantrock fordert man bestimmt keine Gehaltserhöhung. Dazu paßt nur scheues Erröten.

Witz zeigten die Designer erst an den letzten zwei Tagen. Der in Mali geborene Modedesigner Xuly Bät griff das einzige Motiv auf, das an diesem ganzen Romantikscheiß wirklich Pfiff hat: gesmokte Blusen und Kleider. Sie waren knalleng und leuchtend bunt. Dazu trugen seine Models Tellerröcke aus Jeansstoff oder jungenhaft weite Jeanshosen. Diese Mädels waren selbstbewußt und abenteuerlustig.

Jean Colonna ist bekannt dafür, daß seine Kleider oft diesen gewissen Straßenmädchenschick haben. Diesmal schien er eher von Yves Saint Laurent inspiriert zu sein. Der glaubt bekanntlich fest daran, daß es nur wenig Aufwand braucht, eine Frau gut aussehen zu lassen. Colonna feierte ein Mädchen, das nur wenig Geld hat und das Beste daraus macht. Kein Geld für Satin? Futterseide tut's auch. Colonna fertigte daraus ein schmales Kleid, band einen Gürtel um, fertig.

Die zwei schönsten Kollektionen zeigten jedoch Jean-Paul Gaultier und Yohji Yamamoto. Nachdem japanische Designer den westlichen Anzug komplett auseinandergenommen haben, und nachdem die Hälfte der westlichen Designer japanische Falttechniken kopiert – hier der französische Gegenschlag: Gaultier stattete den Kimono mit dem ganzen Sex aus, den japanische Designer dem westlichen Anzug gestohlen haben. Er zeigte Kimonokleider aus hauchdünnem Batist, die beständig die Schulter herunterglitten. Der Kimono als Négligé! Und muß es immer ein Obi sein, der das Ganze zusammenhält? Wie wäre es mit einem türkisen Seidenkorsett? Weiter gab es Blusen mit Kimonoärmeln, einem Bikinihöschen und statt des Rocks war um die Taille ein breiter Obi gebunden, der hinten wie eine Schleppe über den Boden schleifte. Sozusagen nur noch das Zitat eines Kimonos. Das nennt man den Krieg ins feindliche Lager tragen.

Yamamoto zeigte seine Kollektion in einem Saal auf Pigalle. Auf dem Weg dorthin marschierte man an unzähligen Pornokinos vorbei. Dann ging es los: Licht aus – und zu dem Hochzeitsmarsch von Mendelssohn schritt eine Braut in den Saal. Und zog sich aus. Ein Kleid nach dem anderen, bis sie statt des riesigen Krinolinenkleides ein elegantes schmales Jerseykleid trug. Am Ende gab es Standing ovations.