Scharping stellt sich auf die Hinterbeine

■ Lafontaine möchte Müntefering zum Fraktionsvorsitzenden befördern, doch Rudolf Scharping will nicht auf die Hardthöhe weichen

Berlin /Bonn (taz/dpa/rtr) – Wenn am Montag der amtierende Vorstand der Bundestagsfraktion der SPD zusammenkommt, wird er sich mit der wohl schwierigsten Personalie im Rahmen der Regierungsbildung befassen. Denn seit Mittwoch abend ist klar, was lange nur gemutmaßt, von einigen in der Partei befürchtet wurde. Es gibt zwei Kandidaten für das Amt des Fraktionsvorsitzenden. Neben dem amtierenden Rudolf Scharping hat auch Bundesgeschäftsführer Franz Müntefering sein Interesse bekundet. Er habe, so wird aus der Sitzung des Präsidiums vom Mittwoch abend berichtet, seinen Hut in den Ring geworfen. Allerdings nur, wenn Scharping an die Spitze des Bundesverteidungsministeriums wechsele. Ein entsprechendes Ansinnen war zuvor von Gerhard Schröder an Scharping herangetragen worden. Eine definitive Antwort steht noch aus.

Allerdings hatte Scharping schon früher keinen Hehl daraus gemacht, daß er seinen Posten an der Spitze der Fraktion sieht und nirgendwo anders. Den würde er notfalls auch in einer Kampfabstimmung verteidigen. Das hatte er bereits vor der Wahl gesagt, als noch Parteichef Oskar Lafontaine den Fraktionsvorsitz als ein mögliches Tätigkeitsfeld für sich reklamierte. Diese Variante war erwogen worden für den Fall, daß die Mehrheit für Rot-Grün knapp sein könnte. Mit dem Wahlergebnis und der sicheren Mehrheit orientierte sich Lafontaines Interesse auf das Finanzministerium. Zugleich war er jedoch darauf bedacht, daß mit Müntefering ein Mann seines Vertrauens an den Schalthebeln der Fraktion sitzt. Zu Scharping hat Lafontaine ein angespanntes Verhältnis, seit er ihn auf dem Mannheimer Parteitag 1995 vom Vorsitz verdrängte. Zudem trennen beide inhaltliche Positionen, in denen Scharping wiederum eine größere Nähe zu Schröder aufweist.

Eine angemessene Kompensation für Scharping wäre, wenn überhaupt, das Außenministerium gewesen. Doch das wurde Joschka Fischer zugesagt. Der ist, obgleich noch nicht im Amt, bereits zum vorgezogenen Antrittsbesuch in Washington. Er begleitet Gerhard Schröder, und beide werden begleitet von Günter Verheugen, der Staatssekretär im Auswärtigen Amt werden könnte, wenn er die Position des designierten Verteidigungsministers zu Scharpings Gunsten räumen müßte.

Doch der zeigt so wenig Neigung, daß mittlerweile auch nicht ausgeschlossen wird, daß Oskar Lafontaine selbst doch noch den Posten des Fraktionsvorsitzenden übernimmt. Bislang ist sich Scharping sicher, daß die Mehrheit der Fraktion hinter ihm steht. Um diese Mehrheit zu sichern, hat er sich zu Sitzungen der Parlamentarischen Linken und des rechten Seeheimer Kreises angesagt, die beide seine Kandidatur unterstützen. Am Dienstag tagt erstmals die neue Fraktion. Der neue Fraktionsvorstand wird allerdings erst am 20. Oktober gewählt werden.

Unterdessen ließ Lafontaine gestern Meldungen dementieren, er strebe eine Übernahme der Europakompetenzen vom Auswärtigen Amt in das Finanzministerium an. Entsprechende Spekulationen hatten durch eine Meldung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Nahrung erhalten. Danach sollen sowohl das Auswärtige Amt wie das Wirtschaftsministerium ihre Europazuständigkeit abtreten. Aus dem Wirtschaftsministerium soll zudem die Grundsatzabteilung verlagert werden. Der designierte Amtschef Jost Stollmann wäre damit um wesentliche Handlungsfelder beschnitten. Der Finanzminister wäre alleiniger Repräsentant in einer ganzen Reihe wichtiger europäischer Gremien.

Am Donnerstag abend hatte Lafontaine erklärt, er strebe kein Superministerium an. Bei einer Neuverteilung gehe es vielmehr darum, das Finanzministerium nach dem Zuschnitt der Finanzressorts der anderen großen Industrieländer zu ordnen. Die Zersplitterung der Zuständigkeiten solle im Interesse der Sache aufgelöst werden. Damit sind Fischers Befürchtungen, ein um die Europapolitik „kastriertes“ Ministerium zu bekommen, gegenstandslos geworden. Stollmann hingegen wird sich wohl mit einem Rumpfressort zufriedengeben müssen, das aber durch Teile des Ministerium für Forschung und Technologie aufgewertet werden soll. dr