Wahl vor aufstrebenden Glasbauten

Helmut Kohls CDU will es in den neuen Bundesländern noch einmal wissen. Abermals sollen sich die Wähler von „blühenden Landschaften“ betören lassen. Die schöne Einkaufswelt bleibt aber vielen verschlossen  ■ Aus Magdeburg Kerstin Willers

Magdeburg (taz) – „Blühende Landschaften wählen!“ fordert eine ausgeklappte Wahltafel der CDU in der Altstadt. Davor halten sechs Wahlkämpfer bunte Broschüren in der Hand, haben sich „Ich bin für Kohl“-Buttons ans Revers gesteckt und sind allzeit bereit, die Passanten auf den real existierenden Aufbau Ost hinzuweisen. Einen besseren Platz als die Ecke Ulrichsstraße/Breiter Weg hätte sich die Magdeburger CDU kaum aussuchen können. Von hier aus können sie direkt auf die drei Vorzeigeobjekte der „blühenden Landschaften“ blicken. Solche, wie sie Bundeskanzler Kohl 1990 versprochen hat.

Neun Jahre nach der Vereinigung durchzieht eine Kette von Einkaufs- und Erlebniszentren die Altstadt, die im Krieg fast komplett zerbombt, danach im stalinistischen Zuckerbäckerstil hergerichtet und in den 70er Jahren durch dutzende Plattenbauten verschandelt wurde.

Westlich vom Wahlstand liegt das City-Carré: Mehr als 60 Geschäfte und Restaurants schachtelt der viergeschossige Glasbau nebeneinander; vereint unter einem asymmetrisch geschwungenem Dach, zu dem schlanke, matt silberne Säulen hinaufragen. Eröffnung: vor einem Jahr. Im Rücken haben die Wahlkämpfer das im März eingeweihte Ulrichshaus mit mehr als 30 Läden und Büros inklusive Spielbank. Gegenüber das Allee-Center, ebenso groß wie das City-Carré. Noch diesen Monat werden die ersten Mieter hier Luxuswohnungen beziehen.

„Wer nicht sieht, daß hier was aufgeblüht ist, der ist entweder blind oder böswillig“, stellt Jürgen Scharf, CDU-Kreisvorsitzender der 230.000-Einwohner-Stadt und Landtagsabgeordneter fest.

Von den Menschen, die sich vergangenen Samstagvormittag am CDU-Stand mit Programmen, Flugblättern und Wahlzeitungen eindecken, sind die wenigsten blind oder böswillig. „Magdeburg ist viel heller geworden und hat jetzt richtiges Großstadtflair, wie es sich für eine Metropole gehört“, begeistert sich ein 51jährige Mann, der sich nur Herbert nennen läßt. Und auch das Ehepaar Moritz und der Gärtnerlehrling Christian freuen sich über ihre aufblühende Heimatstadt. Sich an den Einkaufsparadiesen zu ergötzen, ist allerdings weniger eine Frage der optischen Wahrnehmung als vielmehr eine des Geldbeutels. Die Arbeitslosenquote in Sachsen-Anhalts Hauptstadt wird bei 19,1 Prozent in der Statistik gemessen, die private Kaufkraft liegt unter dem Landesdurchschnitt.

Während Herbert als Angestellter eines Sicherheitsdienstes „gut über die Runden“ kommt, ist Ehepaar Moritz ziemlich frustriert. Allein das City-Carré hat rund 100 Millionen Mark gekostet. „Woanders fehlt dann das Geld“, regt sich Klaus Moritz auf. Die Millionen, die der Bund für den Bau zugeschossen hat, hätte er lieber in AB- Maßnahmen gesteckt. Zwei Jahre lang war Klaus Moritz arbeitslos, bevor er seine ABM-Stelle bekam. Noch bis Mai arbeitet er im Magdeburger Zoo als „Mädchen für alles“. Seine Frau Elke arbeitet stundenweise als Putzfrau. „Man muß froh sein, daß man überhaupt Arbeit hat“, sagt sie und guckt gar nicht froh.

Die Angst vor Arbeitslosigkeit, Armut und gesellschaftlichem Abstieg ist den meisten Magdeburgern wichtiger als das repräsentative Gesicht der Stadt. Christian ist bald mit seiner Gärtnerlehre fertig. Was kommt danach? „Arbeitsamt“. Lustlos blättert der knapp 19jährige die CDU-Wahlversprechen durch. „Kannste vergessen. Die versprechen doch alle das gleiche.“ Einen Arbeitsplatz kann ihm keine Partei garantieren, deshalb überlegt Christian, die Wahl – seine erste – ganz sausen zu lassen.

Auch auf der anderen Seite der breiten Ernst-Reuter-Allee, die wie ein Grenzfluß die schillernde Boomtown vom ungeschminkten Magdeburg abtrennt, herrscht eher triste Stimmung. Das Lebensmittelgeschäft „Ratswaage“ hat sich am Samstag nach 33 Jahren für immer von seinen Kunden verabschiedet. Inhaber Günter Schneemann sieht sich der Konkurrenz nicht mehr gewachsen: „Durch den Markt im City-Carré habe ich schon jetzt 20 Prozent weniger Umsatz, im Allee-Center werden noch zwei weitere Lebensmittelgeschäfte aufmachen.“ Dagegen hat er keine Chance mehr. Schneemann ist nicht der erste, der aufgibt, seit dem Baubeginn des City- Carrés Ende 1994 haben sieben Einzelhändler Pleite gemacht. In den Nordabschnitt des Breiten Weges wurde nichts investiert, die Kunden blieben aus.

Im nächsten Jahr kommt die Bundesgartenschau nach Magdeburg. Dann gibt es zumindest eine blühende Landschaft, an der sich alle erfreuen können.