Der Durchlauferhitzer im Untergrund

■ Hot-dry-rock-Verfahren: Kommerzielle Stromerzeugung läßt in Deutschland noch auf sich warten. Von einem Projekt im Elsaß erhoffen sich Fachleute den Durchbruch für die Nutzung von Erdwärme. "Mit Geother

Das Elsaß ist bei Gourmets beliebt. Weinkenner schwärmen von den trockenen Tropfen und als besondere Spezialität schätzen Besucher le choucroute – das Sauerkraut. Auch Energieexperten schauen immer häufiger in dem Landstrich westlich des Oberrheins vorbei. Nahe des Städtchens Soultz-sous-Forêts, rund 50 Kilometer nördlich von Straßburg, könnte die Geothermienutzung in Europa einen neuen Schub bekommen. Der Ort liegt inmitten einer 3.000 Quadratkilometer großen geologischen „Wärme-Anomalie“, die sich parallel zum Oberrheingraben erstreckt und als aktive Dehnungsnaht in der Erdkruste bekannt ist. In 1.000 Metern Tiefe unter den nordelsässischen Weinhängen herrschen Temperaturen von mehr als 100 Grad Celsius, womit der Boden etwa dreimal so heiß ist, wie in den mitteleuropäischen Breiten sonst üblich. Mit dieser Hitze lassen sich zwar Eier kochen, doch für einen ökonomischen Energieeinsatz sind diese Temperaturen zu gering. Dennoch ist Jörg Baumgärtner nicht unzufrieden. Der Geophysiker koordiniert das deutsch-französischen Erdwärmeprojekt in Soultz-sous-Forêts, das von der französischen Firma Socomine betreut wird: „Für unser HDR-Projekt sind das schon klasse Bedingungen.“

Das Kürzel HDR steht für Hot- dry-rock, ein Verfahren, auf das Geothermiefachleute große Hoffnungen setzen: Denn die HDR- Technik kann unabhängig von natürlichen Vorräten heißer unterirdischer Thermalwässer eingesetzt werden, was eine wichtige Voraussetzung für die spätere Stromerzeugung ist. Das Prinzip des HDR- Verfahren gleicht dem aus dem Haushalt bekannten Durchlauferhitzer: Von der Erdoberfläche aus wird kaltes Wasser unter Druck über ein Bohrloch in eine rissige, aber trockene Gesteinsschicht gepreßt. Was dann passiert, beschreibt Jörg Baumgärtner: „So soll im Untergrund eine weiträumige hydraulische Verbindung zwischen mehreren Bohrungen geschaffen werden, die es erlaubt, Wasser von einer Bohrung zur anderen zirkulieren zu lassen. Hierbei nimmt das Wasser die im Gestein gespeicherte Wärme auf und transportiert sie zur Oberfläche.“ Aus einer zweiten Bohrung tritt das Heißwasser zutage, wo ihm die thermische Energie in einem Wärmetauscher entzogen wird. Dieser Dampf ließe sich dann über eine Turbine jagen, womit der geothermalen Stromerzeugung nichts mehr im Wege stünde. Das abgekühlte Wasser wird wieder in den Untergrund zurückgepumpt und erhitzt sich dort erneut.

Was sich in der Theorie so einfach anhört, testeten die Socomine-Mitarbeiter zwischen Juli und November 1997 in einem Langzeitexperiment. Mit einem Druck von 20 bar wurden jede Stunde etwa 90 Tonnen Wasser in ein knapp 3.600 Meter tiefes Bohrloch gepumpt. Die Sektkorken knallten, als Farbmarkierungen im Wasser zeigten, daß das kalt verpreßte Wasser nach drei bis vier Tagen mit 142 Grad Celsius wieder aus dem zweiten, rund 450 Meter entfernten Bohrloch austrat. Genauso freute sich das Forscherteam um Jörg Baumgärtner, daß die Wasserzirkulation über mehrere Monate hinweg ohne jeden Flüssigkeitsverlust in Gang blieb, wobei eine thermische Dauerleistung von mehr als zehn Megawatt erzielt wurde – gute Voraussetzungen für die Stromerzeugung.

Auf genau diesen Durchbruch setzt auch Werner Bußmann, Geschäftsführer der Geothermischen Vereinigung: „Soultz kann zum Meilenstein für uns werden.“ Projektkoordinator Baumgärtner kennt die sehnsüchtigen Wünsche der deutschen Geothermie-Gemeinde: „Ich weiß, daß wir große Hoffnungen geweckt haben, aber da wir das Langzeitverhalten bei der Zirkulation nicht kennen, ist es viel zu früh, an eine kommerzielle Stromproduktion zu denken. Außerdem sind unsere Wassertemperaturen bisher noch zu gering.“ Niemand wisse genau, was sich im Untergrund abspiele. Erst einmal wird in Soultz ab Oktober wieder der Bohrmeißel dröhnen. Bis in 5.000 Meter Tiefe will das internationale Forscherteam die Bohrung treiben, wo das Gestein mindestens 200 Grad heiß sein soll. Das künstlich eingeleitete Wasser könnte dann, so die Hoffnung der Socomine-Mannschaft, mit 180 Grad Celsius an die Oberfläche gefördert werden. „Das macht eine Stromerzeugung effektiver“, so Jörg Baumgärtner.

Sollten die Erkundungen erfolgreich verlaufen, könnten ab dem Jahr 2002 die ersten Kilowattstunden Strom am HDR-Standort Soultz produziert werden. Vorgesehen ist dann der Bau einer Turbine mit einer Leistung von fünf Megawatt, an der sich auch die Pfalzwerke AG beteiligen. „Für uns ist die Geothermie eine ernstzunehmende Option unter den regenerativen Energien, weil wir damit gleich im Leistungsbereich von Megawatt sind“, begründet Günther Becht von den Pfalzwerken das Interesse an der Geothermienutzung. Becht, der für die Bereiche Marketing und technische Anwendungen zuständig ist, hofft, daß „wir das Know-how, das wir in Soultz gewinnen, eines Tages weltweit vermarkten können“. Denn wenn das Hot-dry-rock-Verfahren im Nordelsaß den Härtetest besteht, dann können auf dem gesamten Globus die unterirdischen Wärmereserven angezapft werden.

Um die Wirtschaftlichkeit des Geothermiestroms zu verbessern, setzt Becht auf eine Einbindung in das Stromeinspeisungsgesetz: „Für uns gibt es keinen qualitativen Unterschied zu Solar- oder Windstrom, so daß wir eine Vergütung ähnlich wie bei der Wasserkraft von knapp 15 Pfennig je Kilowattstunde für angemessen halten.“ Für die Pilotanlage rechnen die Pfalzwerke mit Stromgestehungskosten in der Größenordnung zwischen 20 bis 30 Pfennig: „Das ist momentan noch alles spekulativ, aber wir rechnen mit einer ähnlich großen Degression wie bei den Bohrungen, wo der zweite Versuch schon rund 60 Prozent preiswerter war als die Anfangsbohrung.“

Auch Jörg Baumgärtner geht mit wachsenden Erfahrungen von einem erheblichen Einsparpotential aus: „Was wir hier machen, ist nicht zu unterschätzen, selbst Amerikaner und Japaner haben sich daran bislang die Zähne ausgebissen.“ Der Geothermiefachmann weiß aber genau, daß die Langzeitzirkulation der Dreh- und Angelpunkt bei dem HDR-Projekt bleibt: „Da die Stromversorger ihre Kraftwerke über 20 Jahre steuerlich abschreiben, machen Investitionen in Erdwärmekraftwerke nur Sinn, wenn der unterirdische Wärmetauscher solange funktioniert.“ Der Geophysiker setzt deshalb auf die noch anstehenden Forschungsprojekte in den nächsten Jahren. Sicherlich wäre es schön, jetzt schon mit der Geothermie Strom zu gewinnen, aber das Risiko des Scheiterns sei zu hoch. Die Stunde der Erdwärme wird noch schlagen, davon ist Jörg Baumgärtner überzeugt: „Wenn um das Jahr 2010 bundesweit die neue Generation der Kraftwerke gebaut werden muß, können wir hoffentlich mit der Geothermie vielerorts eine ernsthafte Alternative anbieten.“ Ralf Köpke