Fit mit dem Wirkstoff Hoffnung

Von der Mikroalge Spirulina bis zum Spurenelement Silicium: „Functional Food“ wird immer beliebter. Ob es gesundheitsfördernd wirkt, ist nicht erwiesen  ■ Von Martin Reichert

Natürlich heilen mit dem Wirkstoff Hoffnung: Der Markt der Naturheilmittel und Nahrungsergänzungsstoffe boomt seit Jahren. Als Nebenwirkung eines gewachsenen Gesundheitsbewußtseins greifen viele Menschen zur „Selbstmedikation“, Apotheken und Reformhäuser halten ein entsprechendes Arsenal bereit. In Japan und den USA schon seit längerem in Mode ist das sogenannte „Functional Food“, Lebensmittel, die neben ihrem ernährungsphysiologischen Wert gesundheitsfördernde Eigenschaften besitzen sollen.

Die Mikroalge Spirulina etwa, hierzulande hauptsächlich als diätunterstützendes Mittel bekannt, soll nicht nur die Defizite der Zivilisationsernährung ausgleichen, sondern auch gegen Aids, Krebs und radioaktive Strahlung schützen, den Cholesterinspiegel senken, das Immunsystem stärken und für mehr Konzentration, Energie und Kondition sorgen. Das Geheimnis der blaugrünen Mehrzellalge aus den Tropen ist ihr unbestritten hoher Eiweiß- und Vitamingehalt, ergänzt durch alle essentiellen Aminosäuren, Betacarotin und das entgiftende Chloropyll.

Schaden kann die Einnahme also nicht, ihre postulierte Heilwirkung hingegen ist nicht klinisch belegt. Dementsprechend ist Spirulina in Deutschland auch nicht als offizielles Arzneimittel zugelassen. Als regelrechten „Unfug“ bezeichnet Jürgen Kundke vom Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz den Aufwand um die Alge. Bei einer normalen, ausgewogenen Ernährung könne man sich die Zusatzstoffe ganz einfach sparen, lediglich bei Menschen mit Stoffwechselstörungen und strengen Diätvorschriften sei die Einnahme sinnvoll. Viele Menschen nähmen aber eben lieber ein „Functional Food“ zu sich, anstatt ihren ungesunden Lebensstil zu ändern.

Das gleiche gilt für Silicium, besser bekannt als Kieselsäure. Hat auch was mit Algen zu tun, denn entstanden ist das Spurenelement aus den Panzern abgestorbener Kieselalgen längst verschwundener Ozeane. Natürlich enthalten ist es in allen pflanzlichen Grundnahrungsmitteln, in den Reformhäusern ist es meist als Gel erhältlich und soll vor allem den Alterserscheinungen von „Menschen in der Lebensmitte“ Abhilfe leisten. Dahinter steckt die Idee, daß Kieselsäure als natürlicher Zellbaustein die Wasserbindungsfähigkeit erhöht und somit die Elastiziät des Binde- und Stützgewebes stärkt: gegen schlaffe Haut und für mehr Schönheit. Verkauft wird Kieselsäure auch als äußeres Mittel gegen Hautentzündungen und zur inneren Behandlung von Magen- Darm-Krankheiten.

Dem gegenüber steht ein recht nüchternes: „Aufgrund des fehlenden klinischen Erkenntnismaterials kann Siliciumdioxyd zur Therapie nicht empfohlen werden“ des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte.

Fest steht nur, daß der Siliciumanteil im Körper des Menschen in der Jugend höher ist, da der Stoff an der Knochen- und Knorpelentwicklung beteiligt ist. Die Einnahme kann nicht schaden, nur in Einzelfällen wurde bei hoher Dosierung Nierensteinbildung beobachtet.

„Wirksamkeit nicht belegt“ gilt auch für eines der bekanntesten Naturheilmittel: Echinacin. Besonders zum Wechsel der Jahreszeiten geht der „Immunmodulator“ massenweise über den Ladentisch. Der Preßsaft aus Purpursonnenhut wird gerne als unterstützende Waffe gegen Erkältungskrankheiten der Atem- und Harnwege angewendet. Zugrunde liegt dabei der Glaube, man könne das Immunsystem beeinflussen, so zu funktionieren, wie man es im Moment gerade benötigt, eine Erkältung verträgt sich meist nicht mit dem Terminkalender. Gegen eine Einnahme ist an sich nichts einzuwenden, die Kasse zahlt sogar. Vorsicht geboten ist vor allem bei Kleinkindern, die deshalb öfter krank sind, weil ihr Immunsystem noch „lernen“ muß. Pflanzliche Modulatoren können diesen Prozeß eher stören. Auch bei Fieber kann Echinacin eher bremsen, da das Immunsystem bereits auf Hochtouren arbeitet. Ernsthaft abzuraten ist von Echinacin-Injektionen, die Schüttelfrost, Erbrechen und schlimmstenfalls lebensbedrohliche Allergieschocks zur Folge haben können.

Ob nun „Functional Food“ oder Naturheilmittel aus der Kräuterapotheke, die klinische Wirksamkeit der Präparate ist meist nicht belegt. Es sind auch oft nicht die Mediziner, die verschreiben, sondern die Anforderungen des Alltags, die vorschreiben, wie fit, leistungsfähig und schön Mensch sein muß. Es scheint, nicht nur der Bedarf wird im Kopf geweckt, auch die Wirkung muß durch denselben befördert werden.