Polizei droht Hyundai-Besetzern

■ In Süd-Korea steht die gewaltsame Räumung der seit vier Wochen von Arbeitern und Angehörigen besetzten Hyundai-Autofabrik bevor

Berlin (taz) – Mit Wasserwerfern und Räumgeräten sind gestern morgen in der südkoreanischen Hafenstadt Ulsan mehrere tausend Polizisten gegen die von 6.000 Arbeitern und ihren Familienangehörigen besetzte Autofabrik des Hyundai-Konzerns vorgerückt. Doch kurz vor Erreichen der Barrikaden blies die Polizei den Angriff überraschend ab. Offen ist, ob der Polizeieinsatz ein Manöver, ein Einschüchterungsversuch oder ein Test der Verteidigungsbereitschaft der Besetzer war oder ob die Sorge um Opfer unter den Frauen und Kindern den Rückzug veranlaßte. 200 Frauen hatten sich bei strömendem Regen vor die mit Eisenstangen und Feuerlöschern bewaffneten Arbeiter gestellt.

„Wir sind bereit zu kämpfen“, sagte gestern ein von der taz auf dem Firmengelände kontaktierter Führer der koreanischen Metallarbeitergewerkschaft. Er forderte im Fall einer gewaltsamen Räumung zum Boykott von Hyundai auf. Der Gewerkschaftsdachverband KCTU droht mit Streiks in anderen Betrieben und einem Ende der Gespräche mit Arbeitgebern und Regierung über Wirtschaftsreformen. Vermittlungsversuche des Arbeitsministers sind bisher gescheitert. Mittlerweile haben 13.000 Polizisten die seit dem 20. Juli besetzte Fabrik umstellt und sich mit Bulldozern und Hubschrauber ausgerüstet, um die Fabrik stürmen zu können. „Wir erwarten den Angriff der Polizei für Mittwoch morgen“, so der Gewerkschaftsführer.

Nach Konzernangaben ist die Fabrik in Ulsan mit einer Jahreskapazität von 1,4 Millionen Fahrzeugen das größte Autowerk der Welt. Doch in der ersten Jahreshälfte 1998 betrug die Auslastung wegen der Wirtschaftskrise nur 44 Prozent. „Wir haben für 18.000 unserer 46.000 Beschäftigten keine Arbeit mehr“, so Konzern-Sprecher Shin Hyun-Kyu zur taz. Betrug im letzten Jahr die durchschnittliche Arbeitszeit noch 56 Stunden, so sei sie inzwischen auf 26 gefallen. Durch Programme zur Arbeitszeitverkürzung, Job-sharing und „freiwillige“ Kündigungen habe die Zahl notwendiger Kündigungen deutlich reduziert werden können. Doch am 16. Juli kündigte Hyundai 1.538 Beschäftigten. „Wir wollen wieder wettbewerbsfähig werden“, so Shin. Erstmals in der Firmengeschichte wurde 1998 Verlust gemacht.

In den Chaebol, den südkoreanischen Großkonzernen, sind Massenentlassungen überhaupt erst seit Februar möglich. Unter dem Druck des mit dem Internationalen Währungsfonds vereinbarten Reformprogramms wurde die bis dahin geltende quasi lebenslange Beschäftigungsgarantie aufgehoben. Hyundai ist der erste Konzern, der Massenentlassungen durchsetzen will.

Angesichts der schweren Wirtschaftskrise sind auch die militanten Gewerkschaften zu großen Zugeständnissen bereit. So hat die Hyundai-Betriebsgewerkschaft Job-sharing, Lohnkürzungen und pro gekündigtem Arbeiter jeweils abwechselnd sechs Monate unbezahlten Urlaub angeboten, um die Entlassungen zu verhindern. Doch während Hyundais Konkurrent Daewoo auf ein ähnliches Angebot seiner Betriebsgewerkschaft einging und damit Streiks und die geplante Entlassung von 3.000 Arbeitern verhindern konnte, hält Hyundai an seinen Plänen fest. Wegen weiterer „freiwilliger“ Kündigungen spricht der Konzern seit vergangener Woche nur noch von 615 Entlassungen. „Der Vorschlag der Gewerkschaft sieht auf den ersten Blick gut aus, aber er ist nicht praktikabel“, meint Hyundai-Sprecher Shin.

Im Arbeitgeberlager soll es über den unterschiedlichen Kurs von Daewoo und Hyundai gegenüber den Gewerkschaften denn auch zum Streit gekommen sein. Beobachter vermuten, daß Hyundai schon allein aus Prinzip an Massenentlassungen festhalten will. Konzernsprecher Shin räumt ein, der Konflikt habe „strategische Bedeutung“: „Wenn wir keine Entlassungen durchsetzen können, wird dies ausländische Investoren abschrecken.“ Bisher verhinderte die Besetzung die Produktion von 86.000 Autos und führte damit bei Hyundai und seinen Zulieferern zu Verlusten von über einer Millarde US-Dollar. Sven Hansen