"Ihr seid wohl total verrückt"

■ Um das publicityträchtige Abfeiern des 13. August nicht zu stören, verschob die Senatsbauverwaltung die Umsetzung der Mauersegmente am Potsdamer Platz. Mauermann Stanke kündigt Protest an

Die Zeitungsausschnitte, die Regierungssprecher Michael-Andreas Butz seinem Dienstherrn Eberhard Diepgen am Morgen des 14. August vorlegen konnte, lasen sich alle blendend. Allein die Überschriften! „Erinnerung an Trauer, Tod und Terror“ hatte die Morgenpost getitelt; „Erinnerung an Unmenschlichkeit“ die Frankfurter Allgemeine; „Erinnerung an einen Tiefpunkt der Geschichte“ die Süddeutsche Zeitung. „Diepgen: Mauergedenkstätte muß ,mentaler Stolperstein‘ sein“ die Berliner Zeitung. Selbst die taz hatte sich erfreut gezeigt: „Gedenkstätte ist eröffnet“.

Hervorragend! Gut für Berlin! Die Eröffnung der neuen Mauergedenkstätte in der Bernauer Straße anläßlich des 37. Jahrestages des Mauerbaus war deutschlandweit gewürdigt worden – auch Diepgens rührende Worte hatten wohlwollende Erwähnung gefunden. „Berlins regierender Bürgermeister nannte die Mauer ,die grausamste und tödlichste Grenze, die Deutschland je geteilt hat‘“, schrieb die Süddeutsche. „Diepgen sagte in der Feierstunde, er hätte sich gewünscht, daß noch mehr Mauer-Reste erhalten geblieben wären“, hielt die Berliner fest. Die BZ zitierte ihn mit den Worten: „Die Mauer bleibt eine Provokation in der deutschen Geschichte, die zur Entscheidung zwingt.“

Es hatte also geklappt: Berlin fand sich wieder im geschichtskorrekten Licht. Heute allerdings, fünf Tage später, muß man diesen Satz leicht korrigieren: Es hätte fast geklappt.

Es war an jenem Donnerstag, dem 13. August, zweiundeinviertel Stunden nach Einweihung der Mauergedenkstätte, als der Krefelder Kaufmann Erich Stanke, genannt „Mauermann“, per Zufall erfuhr: Schon für Anfang August sei geplant gewesen, fünf Mauersegmente auf dem Potsdamer Platz abzureißen und umzusetzen. Abriß? Umsetzung? Und das alles vor dem symbolträchtigen 13. August? Vor dem medienwirksamen Auftritt von Diepgen und Merkel?

Die Reaktion erfolgte prompt. Frieder Bühring, Hauptabteilungsleiter in der Senatsbauverwaltung, gestand gestern, den für die Umsetzung verantwortlichen Bauleiter damals mit den Worten „Ihr seid wohl total verrückt!“ abgemahnt zu haben. „Zu leicht hätte diese Maßnahme falsch verstanden werden können.“ Also wurde die Umsetzung der Mauer verschoben. Erfolgen soll sie nun „in den nächsten vier Wochen“.

Erich Stanke kann dies nicht trösten. Seit nunmehr acht Jahren kämpft der Krefelder um den Erhalt der Mauer. 1990 hatte er einen 100 Meter langen Abschnitt vom letzten DDR-Grenzer-Chef geschenkt bekommen. Dann aber war das Grundstück an Sony verkauft und die Mauer Stück für Stück, bis auf ein paar wenige Segmente, abgetragen worden. Am 18. Dezember 1996 – Sony hatte im Morgengrauen eine Firma mit Kran, Tieflader, Preßlufthammer und Trennschleifer anrücken lassen – sollte das Mauerstück zugunsten des Bauvorhabens weichen. Tatsächlich wurden 50 Meter abgerissen. An jenem Tag also hatte sich Stanke eine Plastiktüte über den Kopf gezogen, mit Diesel übergossen, mit ausgebreiteten Armen auf die Mauer gestellt und damit gedroht, sich anzuzünden (taz berichtete). In letzter Sekunde war es der Feuerwehr gelungen, Schlimmeres zu verhindern.

Heute steht Erich Stanke erneut vor der Überlegung: Braucht es wieder eine spektakuläre Aktion, um die Mauer an ihrem ursprünglichen Ort zu erhalten? Weil der Platz, auf dem die fünf Segmente jetzt stehen, für eine Erschließungsstraße benötigt wird, soll die Restmauer umgesetzt werden. Nicht weit, direkt hinter die Infobox. „Damit wird sie doch nur noch besser in den Blickpunkt der Besucher rücken“, wundert sich Frieder Bühring von der Bauverwaltung über Stankes Aufregung. Jens Rübsam