Hegelianischer Enthusiasmus

Ja, wenn eine bunte Kunstaktie den Kulturaustausch mit Neapel finanzieren soll, dann ist das wohl ein interaktives Projekt von Gió di Sera und seinen Freunden  ■ Von Kirsten Niemann

Unter dem Vulkan lebt es sich sicherlich anders als hier bei uns. Berlin oder Neapel – Gió di Sera, italienischer Künstler mit mittlerweile 13 Jahren Berlinerfahrung, kennt beide Städte und hat ihnen direkt zwei Ausstellungen gewidmet. BerliNapoli, so der Name des bikulturellen Kunstprojekts, lief im vergangenen Winter unter der Schirmherrschaft des Kunstamts Kreuzberg als Di-Sera-Retrospektive im Künstlerhaus Bethanien; der zweite Teil soll im September in Neapel folgen.

Doch nicht nur Gió di Seras Gemälde, Skulpturen und Recycling- Collagen aus Spielzeug, Fotos und Buchstabensuppennudeln werden in ein paar Wochen gen Süden ziehen. Im Gepäck führt er einen großen Teil der Berliner Subkulturszene: Der Pop-Künstler Jim Avignon, der Love-Paradist Dr. Motte, die Metallkünstler Dead Chickens, Betty Stürmer, Danielle de Picciotto, Cornelius Perino und die lose Künstlergruppe Volcano Art Factory u. v. a. stehen sozusagen unterstützend zur Seite.

Ziel ist es, zusammen mit den italienischen Kollegen vor Ort ein interaktives Gesamtkunstwerk auf die Beine zu stellen, in dem nicht nur die bildende Kunst, sondern auch Kunstformen wie Musik, Literatur, Performance und Club- Culture vermittelt werden sollen. Ein binationales Happening, das an verschiedenen Standorten der Stadt gleichzeitig stattfindet, von einer Kostümperformance Dead Chickens' bis zu Objektkunst von Betty Stürmer. Ein Internet-Café als interaktive Brücke zwischen Berlin und Napoli bietet dem Zuschauer die Möglichkeit, selbst aktiv zu werden.

Eine Ausstellung als Raum für interurbane Kommunikation. Klingt super, kostet aber Geld. Von der Senatsverwaltung für Kulturelle Angelegenheiten ist derzeit nicht viel zu erwarten. Von neapolitanischer Seite eigentlich auch nicht. „Alle reden vom vereinigten Europa, wir tun was“, befand schließlich Initiator di Sera.

Ein numeriertes und signiertes Wertpapier

„Wenn man etwas wirklich machen will, dann geht es auch ohne die Unterstützung von oben. Kuratoren brauchen wir nicht!“ Also zeigte er sich erfinderisch und setzte auf den eigenen Marktwert. Mit hegelianischem Enthusiasmus hofft er so, „den Kulturaustausch vom Kopf auf die Füße zu stellen“. Dabei setzt er auf das Engagement jener Leute, die seine Kunst goutieren. Das Ergebnis ist die erste Berliner Kulturaustausch-Aktie, ein auf 333 Stück limitiertes CoArtWork von di Sera und Jim Avignon im DIN-A4-Format. Zu erwerben ist das numerierte und signierte bunte Wertpapier für 100 Mark bei dem Weltmusikvertrieb Piranha oder auf dem derzeit zum zehnten Mal sich jährenden HeimatKlänge-Sommerfestival im Tempodrom, das gleichzeitig auch Hauptsponsor des BerliNapoli- Projekts ist. Als Gegenwert erhält der Anleger nicht nur den Druck; ab Oktober erwartet ihn – sozusagen als Instant-Dividende – Post aus Italien, in Form einer individuellen, künstlerisch gestalteten MailArt eines neapolitanischen Künstlers. Die Erlöse aus dem Verkauf der Bilder-Aktie werden zur Finanzierung der BerliNapoli- Anreise- und -Aufenthaltskosten der insgesamt zwei Dutzend Berliner Künstler beitragen. Ob es darum ging, Kreuzberger Türken- und Araberkids von der Straße zu holen und ihnen das Rappen oder Graffity-Sprayen beizubringen oder als Radio-DJ bei Kiss 99 und später beim SFB-4-Multikulti- Programm schwarze Musik aus aller Welt zu spielen. Ein Genre, das von den großen Radiostationen gerne mal geschmäht wird.

Kulturaustausch ist keine leere Floskel

Für Gió di Sera ist das Anliegen des Kulturaustauschs deshalb keine leere Floskel, es begleitet seinen Alltag schließlich bereits seit Jahren. Und nennenswerte Etats hatte er dafür ohnehin nie zur Verfügung. Berlin – nicht ohne Grund seine Wahlheimat – hält di Sera für ein gutes Pflaster, um Kunst von unten entstehen zu lassen. „Die Berliner Schule ist etwas Einzigartiges“, findet der Neapolitaner. Deshalb sorgt er sich auch nicht über den Wert der Aktien. „Die können ja nur noch steigen, wir werden ja schließlich alle berühmt.“

Die Kulturaustauschaktie gibt es über Piranha Kultur (Tel.: 318614-0), an den Ständen des HeimatKlänge-Festivals oder bei den vielen einzelnen Künstlern