„Die Lage ist oberflächlich ruhig“

Der Kosovo-Albaner Mustafa Bajraktari wurde im März nach Belgrad abgeschoben. Einen Tag später wird er im Gefängnis mißhandelt. Auswärtiges Amt verneint „gezielte Verfolgung“ von „Rückkehrern“  ■ Von Bernd Siegler

Nürnberg (taz) – „Eine Gefährdung von rückkehrenden Kosovo- Albanern ist derzeit nicht völlig auszuschließen.“ Lange hat es gedauert, bis sich das Auswärtige Amt in dem für die Abschiebung von Flüchtlingen maßgeblichen Lagebeurteilungen zu dieser Formulierung durchgerungen hat. Dem 43jährigen Mustafa Bajraktari, der derzeit wieder im bayerischen Kronach lebt, wäre einiges erspart geblieben, wäre die Situation in der südserbischen Provinz schon früher so beurteilt worden.

Ende Januar 1993 flüchtete Mustafa mit seiner Frau und fünf Kindern aus dem Kosovo. Er war in seiner Heimat in die Fänge der serbischen Polizei geraten, da er an einer Versammlung der für die Unabhängigkeit des Kosovo kämpfenden Familie Jashari teilnehmen wollte. Die siebenköpfige Familie Bajraktari kam in Kronach unter. Ihr Asylantrag wurde, wie der der meisten Kosovo-Albaner, als „unbegründet“ abgelehnt. Mustafa Bajraktari wurde am 4. März dieses Jahres zum Flughafen nach Frankfurt transportiert.

Die Lage wäre „oberflächlich wieder ruhig“, hatte das Auswärtige Amt in der Lagebeurteilung vom Vortag mitgeteilt. Zum gleichen Zeitpunkt meldeten die Nachrichtenagenturen, daß die serbische Polizei ganze albanische Dörfer im Kosovo rigoros abgesperrt und in den Vortagen zahlreiche Albaner ermordet hätte.

Die Maschine mit Mustafa Bajraktari an Bord landete am 4. März um 18 Uhr in Belgrad. Um 21 Uhr ist Mustafa immer noch in Belgrad, eineinhalb Stunden lang war er von serbischen Polizisten verhört worden. Dann steigt er in den Bus nach Priština, der Provinzhauptstadt des Kosovo. Nachts um 2.30 Uhr gibt es Probleme bei einer Polizeikontrollstelle in Podujevo, etwa 30 Kilometer nördlich von Priština. Anhand des Ausweises von Mustafa stellen die Polizisten fest, daß er aus der Region Drenica stammt. Grund genug, ihn mit Handschellen in einem gepanzerten Fahrzeug in eine kleine Polizeistation abzutransportieren. Schon beim Aussteigen wird Mustafa von den Polizisten beschimpft, getreten und geschlagen. In den Verhören wirft man ihm vor, er unterstütze die antiserbische Befreiungsarmee des Kosovo, die UCK.

Während Mustafa Bajraktari allein im Keller der Polizeistation gefesselt und mißhandelt sein Dasein fristet, startet die Polizei, unterstützt von serbischen paramilitärischen Gruppierungen, in Prekaze eine Offensive gegen den Clan der Jasharis. Man vermutet in ihnen die Drahtzieher der UCK. Rund 30 Mitglieder der Familie werden ermordet.

In Kronach ist man mittlerweile äußerst beunruhigt, hatte der Familienvater doch versprochen, sich regelmäßig zu melden. Seine Frau Ermine läßt am 11. März in der Zeitung Rilindja eine Vermißtenmeldung veröffentlichen, Radio Tirana strahlt eine Suchmeldung aus. Zum gleichen Zeitpunkt hat das Auswärtige Amt einen neuen Lagebericht erarbeitet. Es sei im Kosovo „grundsätzlich nicht mit einer gezielten Verfolgung von Rückkehrern“ zu rechnen, heißt es jetzt. Ihre Gefährdung unterscheide sich „nicht von der aller anderen Bewohner des Kosovo mit albanischer Ethnie“.

Tag für Tag wird Mustafa verhört, beschimpft, gedemütigt und verprügelt. Ärzte stellen später an Brustkorb, Rücken, Unterschenkel und im Bauchraum sowie in der Lendenregion „stumpfe Trauma“ fest.

Erst am 19. März ist Mustafas Martyrium beendet. Polizisten setzen ihn an einer Bushaltestelle in der Industriestadt Mitrovica ab. Mit Hilfe von Verwandten bereitet er seine Flucht vor. Am 2. Mai ist er zurück in Kronach und kann die Familie in die Arme schließen.

Über seinen Asylfolgeantrag ist noch nicht entschieden. Die Chancen stehen schlecht. Der bayerische Verwaltungsgerichtshof zieht den jüngsten Lagebricht des Auswärtigen Amtes als Begründung heran: Es lägen schließlich „keine Erkenntnisse über das Schicksal derer, die in den letzten Tagen abgeschoben worden sind, vor“.