Mode der zweiten und dritten Art

Designerläden in Berlin-Mitte. Mode machen wollen alle, Mode verkaufen nicht unbedingt. Die Wahl zwischen Safarilook, Designerchic und Zeltplanen fällt nicht leicht. Ein traumhafter Reisebericht  ■ Von Christine Berger

Ein verkaterter Morgen im Mai, ich schaue in den Spiegel und erkenne mich nicht. Da klingelt der Postbote dreimal, ein gutes Zeichen. Ich öffne. „Ein Scheck für Sie“, sagt der gute Mann und lächelt. Ich wundere mich nicht, tausend Mark kann ich gut gebrauchen. Tür zu, ich weiß schon, was ich mit den Penunzen mache: auf den Kopf hauen, verschwenden, mir was leisten. Das geht ganz einfach. Ich schaue in den Schrank und habe nichts mehr zum Anziehen. Oder der ganze Klimbim, den ich sonst getragen habe, hängt mir zum Hals raus. Und das Spiegelbild sagt: Ein bißchen Aufmöbeln tut not. Das reicht, um in Shoppinglaune zu kommen.

Am nächsten Tag ist der Scheck liquide, die Reise nimmt ihren Lauf. Aus Faulheit starte ich gleich ein paar Straßen weiter. Da heißt ein Laden einfach „Nix“. Ich habe Glück, denn es ist kurz nach zwei, der Store hat gerade aufgemacht. „Hallo“, grüßt die Verkäuferin freundlich von oben herab. Sie steht auf der Leiter und streicht eine Wand. Es riecht ein bißchen nach Farbe. „Wenn du Hilfe brauchst, komme ich“, sagt sie und zieht die Stirn in Falten. Sie ist gerade dabei, die Deckenlinie zu malen und muß aufpassen, daß nix auf die Klamotten kleckert.

Ich schaue mich um. „Nix“ hat eine Menge zu bieten. Dottergelbe Strickpullover, dazu dunkle Hosen und Jacken, alles in gedeckten Farben – Streetwear eben. Auch für Kleinkinder ist was dabei. Die „Nix“-Designerin hat einen kleinen Sohn. Je größer er wird, desto größer werden auch die Jäckchen und Hosen, die sie im Laden verkauft. Ob das grau-grün-blaue Zeug meiner Tochter gefallen würde? Und ob ich zweihundert Mark für eine Hose auszugeben bereit bin? Da sagt die Verkäuferin: „Nimm, was du brauchst, heute ist alles umsonst.“ Das macht alles einfacher. Ich lasse meinen alten Pomödel in der Umkleidekabine und werfe mir ein Hängerkleid mit Karomuster über, dazu eine hüftlange Jacke, die hat viele Taschen. „Tschüß“, sage ich beim Hinausgehen. Die Frau winkt nur, sie hält gerade einen Pinsel zwischen den Zähnen.

Ein paar Häuser weiter wartet der „Eisdieler“ auf Besuch. Die Generation X, zu der ich wohl so gerade noch gehöre, darf unter verschiedenen Labels wählen. Alasja, gossip 67, wild spirit und T.M.F. sind keine Eissorten, sondern coole Designerlabels, die man getrost auf jeder Techno-House- HipHop-Acid-Jazz-Party oder auch beim Pantoffelkino tragen darf. Ich streife durch den kleinen Laden. Die Jacken der Marke Tagedieb sehen aus, als könnte man mit ihnen auf Safari gehen, und die Nähte der Alasja-Hosen heben sich hervor, als stehe man im Licht einer Ultraviolettlampe. Ob mir so was steht? Niemand da, den ich fragen könnte. Der Laden ist so verlassen wie die Grabkammer des Bürgermeisters von Atlantis. Ausziehen, anziehen, „Nix“ liegt in der Ecke, und ich bin ein anderer Mensch. Weite Hosen, enge Bluse, Safari-Jacke. So stolzieren mein Alter ego und ich aus dem Laden. Die Leute auf der Straße wundern sich nicht. Merkwürdige Menschen wie mich sind sie hier gewohnt.

Bei Tools & Gallery ein paar Straßen weiter ist man allerdings ein wenig erstaunt. Ob das Mädel Geld hat, wahrscheinlich will sie was verkaufen oder schnorren, sagt der Blick, den mir der schwule Verkäufer zusammen mit einem „Guten Tag, kann ich helfen?“ entgegenwirft. Ich will erst einmal nur schauen, und dabei kommt das Staunen von alleine. Fast zehn Meter hohe Decken, buntbemalt, lenken den Blick von den Kenzo-Klamotten ab. Die Umkleidekabinen aus weißem Tuch erinnern an Beduinenzelte oder an riesige Unterröcke aus der Rokokozeit. Wer Sachen anprobieren will, darf drunterschlüpfen und sich derweil von sanften Chopin-Klängen einlullen lassen.

Wüßte man nicht, daß das 21. Jahrhundert vor der Tür stünde, würde man ohne zu zögern auch das 19. für realistisch halten. Doch dazu passen die Kleider nicht. Neben Kenzo und Karl Faktor gibt es Edles von David Palmer, delph und Caramelo. Ich bekomme einen Kaffee angeboten und probiere zum Dank ein bordeauxrotes Kenzo-Jungle-Jäckchen an. Heißa, wie das paßt. Nur der Preis stört, knapp 500 Deutsche Mark. Ich behalte es an und suche mir einen passenden Strickrock vom Berliner Designerquartett Karl Faktor dazu. Während ich mich in angenehm weicher Baumwolle vor dem Spiegel drehe, sitzen die Faktor- Frauen zwei Hausnummern weiter und schuften für die nächste Sommerkollektion. So ist das Leben eben.

Und dann verführt eine wunderschöne Wendeltreppe im Jugendstil. Sie endet im oberen Stock mitten in einer Ausstellung mit bizarren Bildern einer Düsseldorfer Künstlerin. So komme ich vom Konsum auch noch ein bißchen zur Malerei, nutze den Hinterausgang und verschwinde auf Nimmerwiedersehen. Nur die dreckige Kaffeetasse lasse ich stehen, Ordnung muß sein.

Über ein paar Hinterhöfe gelange ich wieder auf die Straße, und da fällt mir auf, daß mir zum eleganten Outfit noch die passenden Schuhe fehlen. Also eile ich an den Hackeschen Höfen vorbei zur Oranienburger Straße, wo sich so viele Schuhgeschäfte tummeln, daß man aus lauter Mitleid seine Einkäufe gerecht verteilen sollte. Ich entscheide mich für „barfuss oder lackSCHUH“, nicht weil der Name so dämlich ist, sondern weil dort die Auswahl an Damenschuhen im Rahmen bleibt.

Ich probiere ein Paar Sandalen und bin fest entschlossen, sie zu kaufen. Da protestiert der Verkäufer. „Sehen Sie denn nicht, wie Ihr Fuß vorne rausrutscht?“ Ich gestehe, daß ich nichts bemerkt und den Schuh sehr bequem fände. „Die meisten Frauen haben keine Ahnung, was ihnen wirklich steht“, knurrt der Verkäufer, und man sieht ihm an, daß der missionarische Geist, der ihn zu solchen Äußerungen drängt, viel Energie verschlingt. Das Ende vom Lied: Ich kaufe gar nichts, und der Verkäufer ist zufrieden.

Drei Häuser weiter finde ich schließlich einen geschäftstüchtigen Italiener, der willig ist, mir die Stiefeletten, die mir gefallen, auch zu verkaufen. Ob da ein Haken dran ist? Ach was, Cartillone packt ein, und ich zücke zum ersten Mal meinen 1.000-Mark-Schein. Da zuckt der gute Mann betrübt mit den Schultern, er kann nicht wechseln. Ich lasse also meine alten Treter im Laden und ziehe die neuen Stiefeletten gleich an. Cartillone bedauert, aber was soll's.

Ganz die Frau von Welt mit Kenzo-Jäckchen und Faktor-Rock wandle ich weiter. In der Neuen Schönhauser Straße lauert Modedesign an jeder Ecke. In der Nummer 11 ist die Einrichtung den ersten Blick wert. Szenedesigner 3 de Luxe hat im „apartment“ gewirbelt. Herausgekommen ist dabei eine blendend weiße Seventies- Landschaft mit bizarren Regalen und Sesseln zum Lümmeln. Wer auch Interesse an der Mode hat, sollte auf Labels wie carhatt, combo und DC stehen.

Ich fühle mich dafür gerade ein bißchen zu alt (Taschen aus alten Lkw-Planen passen nicht zum Jäckchen) und stelze weiter. Nebenan gibt es was für Männer. Bei „Respectman“ kann man herrlich sündigen und sein Konto mal so richtig überziehen. Die Mäntel vom hauseigenen Label sind leider zu groß, ebenso die Anzüge von Next+Guru+Now. Die feinen Hemden von Lanski & Smith gehen glatt als Nachthemd durch. Dennoch ist der Mann hinterm Schneidertisch freundlich und schenkt mir einen Schlips. Sollte ich irgendwann mal einen Hund haben, werde ich ihn als Leine benutzen.

Kurz vor Ladenschluß falle ich noch bei „Waaahnsinn“ ein. „Mode der zweiten Art“ nennt die Inhaberin ihr Sortiment und will damit nichts anderes sagen, als daß die Straßkleider und Abendroben alle schon mal einen Vorbesitzer hatten. Zwischen dem ganzen glitzernden Tand hängen aber auch „normale“ Dinge wie Hosen und Jacken. Mit strapaziertem Blick prüfe ich das Angebot und stutze: Hose, Hemd und Jacke kommen mir merkwürdig bekannt vor und irgendwie sehr angenehm. Nicht zu auffällig die Jeans, die Lederjacke gezeichnet vom Lauf der Zeit. Dann fällt der Groschen: Bis vor wenigen Stunden war das alles meins. Ich lasse den Kenzo-Kram im Laden und ziehe an, was mir gehört.

Den 1.000-Mark-Schein verliere ich unterwegs, soll ihn haben, wer will.

Adressen:

Nix, Auguststr. 86, Berlin-Mitte, Mo. zu, Di.–Fr. 14–20 Uhr, Sa. 12–16 Uhr,

Eisdieler, Auguststr. 74, Berlin- Mitte, Mo.–Fr. 12–19 Uhr, Sa. 12–18 Uhr,

Tools&Gallery, Rosenthaler Straße 34/35, Berlin-Mitte, Mo.–Mi. 10–19 Uhr, Do.–Fr. 10–20 Uhr, Sa. 10–16 Uhr,

barfuss oder lackSCHUH, Oranienburger Str. 89, Mo.–Fr. 11–20 Uhr, Sa. 10–16 Uhr,

Cartillone, Oranienburger Str. 85, Berlin-Mitte, Mo.–Fr. 11–20 Uhr, Sa. 11–16 Uhr,

Apartment, Neue Schönhauser Str. 11, Mo.–Fr. 12–20 Uhr, Sa. 11–16 Uhr,

Respectman, Neue Schönhauser Str. 14, Mo.–Fr. 12–20 Uhr, Sa. 11–16 Uhr,

Waaahnsinn, Neue Promenade 3, Am Hackeschen Markt, Mo.–Sa. 12–20 Uhr