„Nicht durchdrungen“

■ Zeuge einer Schießerei verweigert den Kriegsdienst und bekommt Probleme

Wenn ein potentieller Wehrpflichtiger in Hamburg Zeuge einer Gewalttat wird, könnte ihn das die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer kosten – zumindest, wenn man der Auffassung von Edgar von Jhering folgt. Der Leiter des Hamburger Kreiswehrersatzamts legte vorige Woche gegen die Anerkennung des Kriegsdienstverweigerers Thomas R. Widerspruch ein, weil dieser im in einer Discothek in eine Schießerei geraten war.

„Bis zum Sommer 1997 kam ich nie auf die Idee, den Kriegsdienst zu verweigern,“ erinnert sich Thomas R., der sich bei der Musterung sogar zu Auslandseinsätzen gemeldet hatte. Das änderte sich, als er vor einem Jahr in der Disco „Pleasure Dome“ am Berliner Tor Zeuge einer Schlägerei wurde, die in eine Schießerei ausartete. „Zwei meiner Freunde erlitten Schußverletzungen. Bei dem einen von beiden hat der Täter die Pistole an die Schläfe gesetzt und abgedrückt“, schildert R. die dramatischen Sekunden. „Glücklicherweise überlebten beide. Ich weiß nicht, was in dem Augenblick in mir vorging,“ konstatiert er. „Die Umstehenden warfen sich alle zu Boden, und ich stand da wie gelähmt und konnte mich nicht rühren.“ Mit Entsetzen sei ihm bewußt geworden, welche „Heimtücke vom Schußwaffengebrauch“ ausgehe.

Als er sieben Monate später seinen Einberufungsbefehl bekam, „wurde mir bewußt, was mich bei der Bundeswehr erwartet.“ Er stellte einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer: „Ohne persönliche Anhörung erkannte der Ausschuß Thomas als Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen an“, wundert sich sogar sein kirchlicher Berater Horst Görner: „Das ist außergewöhnlich, der Antrag muß sehr überzeugend gewesen sein.“

Doch nicht für Edgar von Jhering. Bei dem geschilderten Schlüsselerlebnis habe es sich um keine normale Wirtshausrandale, sondern um einen „brutalen Machtkampf zwischen Zuhältern auf dem Hamburger Kiez“ gehandelt, konstatiert er und schreibt in seinem Widerspruch: „Wer sich in diesem Milieu bewegt, ist normalerweise nicht vom Prinzip der Gewaltfreiheit als für ihn bindend und unbedingt verpflichtet innerlich durchdrungen.“

Gegenüber der taz relativierte der Leiter des Kreiswehrersatzamts seinen Einwand: „Der Ausschuß hätte nicht nach Aktenlage entscheiden dürfen“, so von Jhering. Ihm gehe es darum, „daß eine mündliche Anhörung stattfindet. Schließlich waren seine Freunde in die Auseinandersetzung im Milieu verwickelt.“

Thomas R. hat Ende voriger Woche die Zurückweisung des Widerspruchs beantragt und die Begründung als „abenteuerlich“ bezeichnet. Den Vorwurf, er bewege sich im Zuhältermilieu, empfindet er als „perverse Unterstellung“. Der Ausschuß für Kriegsdienstverweigerung in Kiel hat nun das letzte Wort. Kai von Appen