Nein, fallen läßt er sich nicht!

■ Rockabilly-Beschleuniger „The Cramps“in der Kesselhalle

Auf den Lautsprecherboxen am Rande der Bühne, drei Meter über dem Publikum, kauert eine drahtige, zusammengekrümmte Gestalt. Lux Interior, der Sänger der Cramps, trägt ein schwarz-glitzerndes, enges Polyesterhemd, das mit Rotwein getränkt ist. Unten dröhnt das Feedback, allein der Schlagzeuger hält wacker weiterhin den Takt. Einen Moment lang überlegt der Sänger zum Entsetzen der schwitzenden Bühnenhelfer, ob er sich nicht einfach vom wackelnden Boxenturm in die wippende Zuschauermasse stürzen soll.

Die Cramps am Freitag in der Kesselhalle – das war ein Konzert, bei dem die Musik nicht die entscheidende Rolle spielte. Schon der wallende Glittervorhang mit dem riesigen Cramps-Logo deutete an: Hier wird inszeniert. Weil die amerikanische Band psychotischen Rockabilly mit trashigen Erotik-Posen kombiniert, schaffte sie es auch im siebzehnten Jahr ihres Bestehens, einen ungewöhnlichen und sehenswerten Auftritt hinzulegen.

Doch die Cramps brauchten lange, um das Publikum und vor allem sich selbst in Fahrt zu bringen. Zwar rackerte und posierte der großmäulige Lux Interior von Beginn an wie ein Irrer. Der Rest der Band aber rockte nur gelangweilt mit. Vor allem die zweite Hauptrolle bei der promiskuitiven Bühnen-show, Cramps-Mitgründerin Poison Ivy, begnügte sich damit, in ihrer ultra-knappen Lacklederhose cool gelangweilt ins Leere zu starren, auf gut 20 Zentimeter hohen Stilettos umher zu trippeln und ab und an ihre riesige Dauerwelle zu schütteln.

Also blieb auch die Stimmung kühl, denn die Musik der Cramps ist einfach zu stumpf, um für sich genommen allein ein Konzert zu tragen. Die Cramps machen coolen, trashig gespielten Rock'n'Roll. Aber egal, ob die rotlackierten Finger von Poison Ivy beim zackigen Gitarrenintro über die Saiten flitzten oder ob ein Schlagzeugwirbel Stücke einleitete – alles klang zu ähnlich, es fehlte jede Dramaturgie.

Doch zum Glück scheint das Feedback einer übersteuerten Gitarre Seltsames bei Lux Interior auszulösen. Ein, zwei übersteuerte Mißtöne aus Poison Ivys Verstärker reichten, um ihn nach einem Dutzend immer gleicher Lieder sabbernd und wimmernd vor der Gitarristin herum rollen zu lassen. Nun spielten die beiden ein sich immer weiter steigerndes S & M - Spielchen: Cramps-Song, Getöse, Lux Interior rollt und windet sich, leckt Poison Ivys Stiefel, hängt an ihren Beinen. Nach drei Runden im Dreck schafft er es endliche, sie aus der Reserve zu locken. Poison Ivy greift zur Rotweinflasche, die Band brettert „Surfin' Bird“, der Mob tobt und am Ende ist der stoische Beat des Schlagzeugs die einzige feste Größe inmitten einer beachtlichen Lärm-Orgie. Poison Ivy liegt zuckend auf dem Boden, die kreischende Gitarre wippt zwischen ihren Schenkeln, während sich Lux Interior zu ihren Füßen suhlt. Irgendwann wankt er umgeben vom Lärm auf den Boxenturm und blickt hinab. Allerdings: Fallen läßt er sich nicht. Nur weil man ein guter Unterhalter ist, muß man noch lange nicht lebensmüde sein. Nach einem Augenblick am Abgrund klettert Lux Interior brav vom Boxenturm herunter.

Lars Reppesgaard