■ Mutiertes Elektronik-Virus greift auf Menschen über!
: Stoppt den Memory-Effekt!

Handy- und Laptop-Benutzer bekommen allein bei dem Wort Schweißausbrüche: „Memory-Effekt“. Aber nicht nur die beiden Klassiker unter den nomadischen Gegenständen, auch alle anderen elektronischen Endverbraucher, die unabhängig vom Netz betrieben werden können – Walkman, Handstaubsauger, Funkwecker –, sind potentielle Opfer des Memory-Effektes.

Wo er wildert, verursacht er irreparable Schäden, die in hohem Maße ärgerlich sind und obendrein ganz schön ins Geld gehen können. Beinahe müßig zu erwähnen, daß diese Schäden selbstredend aus den Garantiezusagen der Hersteller ausgeklammert sind. Der Memory-Effekt ist, ließe sich sagen, der natürliche Feind aller wiederaufladbaren Stromaggregate, kurz „Akkus“ genannt.

Bisher ist es der Forschung zwar noch nicht gelungen, ein wirksames Gegengift zu erfinden, dafür weiß man inzwischen wenigstens einiges über die Entstehungszusammenhänge und Wirkungsweisen: Wenn der Akku nicht richtig bis zuletzt geleert wird, sondern vorzeitig wieder mit dem Netz in Kontakt kommt – was andauernd vorkommt; schließlich hat der Benutzer Besseres zu tun, als die eigene Zeitökonomie dem Diktat der Akku-Füllstände unterzuordnen –, dann „merkt“ sich der Akku gewissermaßen, bis zu welchem Pegel er vormals geleert wurde, und ist dann trotzig nicht mehr bereit, bei der nächsten Inanspruchnahme über diesen Pegel hinaus Energie abzugeben.

Und so schrumpft mit jedem unsachgemäßen Aufladevorgang das zur Verfügung stehende Energie- Fenster unwiderruflich dahin, bis irgendwann der Akku vollständig den Dienst versagt und im Arsch ist. Zu tun hat das mit batterieinternen Vorgängen: Aufgrund von Unterbeanspruchung verklumpt das flüssige Quecksilber zu einer kristallinen Nickel-Cadmium-Struktur und versteinert schließlich ganz zu einem Zink- Kohle-Amalgam.

Ein hochleistungsfähiger Bauxit-Ammoniak-Akku kostet heute immer noch um die drei- bis vierhundert Mark, eine Summe, die es durchaus angebracht erscheinen ließe, wenn seitens des Herstellers gewisse minimale Vorkehrungen getroffen würden – beispielsweise in Form von elektronischen oder mechanischen Wiederaufladsperren für den Fall, daß der Akku nicht wirklich bis zum letzten Elektron ausgepowert ist. Statt dessen belassen es die Firmen einträchtig bei elementarteilchengroßen Warnhinweisen im Kleingedruckten der Bedienungsanleitung. Logisch: Wenn einer am Memory-Effekt verdient, dann doch wohl die Hersteller von austauschbaren Akku-Aggregaten.

Damit nicht genug, tut sich in jüngster Zeit eine neuartige Tendenz auf, deren Bedrohlichkeit und Verheerungspotential sich noch nicht in Ansätzen ermessen läßt. Der Memory-Effekt scheint wie ein Virus mutiert zu sein, so daß er jetzt nicht mehr nur elektronische Geräte, sondern auch Menschen befällt. Es häufen sich Schilderungen von Zeitgenossen, die behaupten, sich an andere Mitmenschen zu „erinnern“, obwohl jene nicht den blassesten Schimmer davon haben.

Erst kürzlich begegnete mir selbst auf offener Straße ein Mensch, von dem ich schwöre, ihn nie zuvor zu Gesicht bekommen zu haben. Er jedoch verkündete freudestrahlend: „Hey, bist du nicht der, der sich letzten Freitag auf dieser Party so dermaßen danebenbenommen hat? Doch, das bist du! Scheiße, Alter, so was von cool! Aber hast du schon mit deiner Versicherung gesprochen...?“ Andere Fälle sind überliefert, wo Menschen sich auf einmal an erhebliche Geldbeträge zu erinnern glaubten, die sie vorgeblich irgendwann einmal ausgeliehen hatten – „Ganz bestimmt!“ – und diese nun – „Jetzt komm, mach keinen Scheiß!“ – zurückverlangten. Andere Leute wollen sich noch an ganz andere, immer jedoch unangenehme und für den Betroffenen kompromittierende Sachverhalte erinnern.

Bisher konnte stets noch jeder dieser Fälle auf eine ganz profane Erklärung – Verwechslungen, Halluzinationen oder Unzurechnungsfähigkeit – zurückgeführt werden. Jedoch nicht auszumalen, was wäre, wenn der grassierende Memory-Effekt tatsächlich in großem Stil auf die Menschheit übergriffe. Weshalb ich die Gelegenheit nutzen und beim Schopf ergreifen möchte, von dieser Warte aus noch einmal nachdrücklich den Aufruf in die Welt zu entsenden: Stoppt den Memory-Effekt! Wider die Kultur des Erinnerns, eine Lanze für das Vergessen! Holm Friebe