■ Die Grünen haben ihre historischen Chancen leichtfertig verspielt
: Das Ende von Rot-Grün

Die Geschichte ist unerbittlich. Chancen zum Handeln gibt es nur einmal. Wer sie verpaßt, hat verloren. Der muß zusehen, wie andere den Zug der Geschichte anheizen. Vor zehn Jahren hatten die Grünen eine Option auf die neue Mitte der Gesellschaft. Die Sozialdemokratie war als Programmpartei in der Krise. Sie war hin- und hergerissen zwischen linken und rechten Gewerkschaftern, ihrem realpolitischen Regierungspersonal, Staatsverantwortung und Grundsatzopposition.

Der SPD fehlte ein politisch überzeugendes Führungspersonal. In der Schwäche dieser Sozialdemokratie sind die Grünen gewachsen. Ohne eigenes Zutun erreichten sie bei Wahlen zweistellige Prozenthöhen. Doch die Klärung ihrer langfristigen Rolle im Parteienspektrum wurde im Flügelhickhack von Realos und Linken unterlassen. Sie schien auch nicht nötig. Die Republik hatte sich an grüne (Landes-)Minister gewöhnt. Sie waren und sind langweilig. Wenn sie erst einmal im Amt waren, hörte man wenig Erinnernswertes von ihnen. Rot-grünes Gezeter ohne sichtbaren Einigungswillen bestimmt ihr Auftreten in der Öffentlichkeit. Einen Sog auf mehr grüne Regierungsbeteiligung haben sie nicht ausgelöst.

Die bürgerliche Mitte der Republik hat lange gezögert, ob sie sich dem Abenteuer eines politischen Neuanfangs mit den Grünen in der Republik öffnen sollte. Sie wartet bis heute vergeblich auf verbindliche Angebote von den Grünen. Grüne Politik war und ist nichts anderes als die Fortschreibung der einfachen Parole: „Wir haben die Wahrheit der Geschichte auf unserer Seite. Wir sind die besseren Menschen.“

Parallel dazu sind die Probleme des Übergangs in die Informationgesellschaft bis ins Bewußtsein jedes einzelnen Bürgers gedrungen. Alles, die Sozialsysteme, die Arbeitsverfassung, die Verwaltungstrukturen, der Nationalstaat, muß reorganisiert, neu begründet und im demokratischen Konsens fortbewegt werden. Die Phase der Diskussionen ist vorüber. Jetzt werden die Kosten des Umbruchs sichtbar.

Wie immer in solchen Situationen wird es viel mehr Verlierer als Gewinner geben. Niemand wird freiwillig auf lang Erkämpftes verzichten wollen. Arbeitslosigkeit und innere Instabilität werden die deutsche Republik für lange Zeit prägen. Jetzt zählt Regierungsfähigkeit und Führungskraft. Jetzt muß gehandelt werden. Jetzt braucht es starke Regierungen.

Vor diesem Hintergrund ist der Absturz der Grünen nur folgerichtig. Auch andere, abgeschwächtere Magdeburger Beschlüsse hätten daran nichts mehr geändert. Die Grünen sind aus eigenem Verschulden wieder dort, wo sie vor zehn Jahren schon einmal waren – an der Fünfprozentgrenze. Die Sozialdemokratie ist auf die Grünen für ein großes Reformprogramm nicht mehr angewiesen. Sie kann und wird frei wählen, mit wem die historischen Entscheidungen besser durchsetzbar sein werden. Die Große Koalition ist dabei die wahrscheinlichere Konstellation.

Stillstand und Demokratieverlust sind nicht zwangsläufig zu befürchten. Die Reichweite und Wirkung der bevorstehenden Reformen erfordern im Interesse eines breiten Konsenses möglichst vieler Bürger auch in schwierigen Zeiten stabile Mehrheiten. Die gibt es im Augenblick eben nur mit einer Großen Koalition. Schäuble und Schröder gemeinsam am Regierungstisch in Berlin sind auf jeden Fall besser als die Alternative, die nach der aktuellen Krise der Grünen wahrscheinlich scheint – vier weitere Jahre Kohl. Udo Knapp

Der Autor war letzter SDS-Vorsitzender und ist Mitglied der SPD. Ein Teil der 68er-Redaktion ist mit dem Inhalt dieses Kommentars nicht einverstanden und legt Wert auf die Feststellung, daß er in der Redaktion nicht diskutiert wurde.