Profilbildung heißt Auslese

■ Bayerisches Kultusministerium legt Eckpunkte zum Schulwesen vor. „Frühzeitige Differenzierung“ soll bald auch für Realschule gelten

Nürnberg (taz) – Der Berg kreißte und gebar ein winziges Mäuslein. Die fünf Bildungskommissionen, die Bayerns Kultusminister Hans Zehetmair (CSU) eingesetzt hatte, haben gestern nicht etwa eine grundlegende Reform vorgeschlagen, sondern den Auslesedruck an Bayerns Schulen weiter erhöht. Was bislang für die Gymnasien galt, soll nun auch in Realschulen Anwendung finden: die Schullaufbahn eines Kindes entscheidet sich im zarten Alter von zehn Jahren, also in der 4. Klasse. Über diese „frühzeitige innere Differenzierung“ soll nach einem Bildungskongreß im April in München entschieden werden.

In Zehetmairs Haus ist man sich sicher, daß „die jeweilige Eignung für die große Mehrheit der Schüler“ Mitte der vierten Klasse festgestellt werden könne. Gerade eine „frühe Förderung der jeweiligen Begabung“ sei für die „Entwicklung von Lernmotivation und Leistungsfähigkeit“ entscheidend. Konsequent spricht sich das Kultusministerium denn auch für die sechsstufige Realschule ab der 5. Klasse „als sachgerechte Weiterentwicklung des gegliederten Schulwesens“ aus. Lehrerverbände und auch CSU-Kommunalpolitiker laufen aus finanziellen und pädagogischen Gründen Sturm gegen diesen im Modellversuch befindlichen Schultyp.

Zentraler Bestandteil der kultusministeriellen Eckpunkte ist die „Schärfung der profilbildenden Merkmale der Schularten“. An vorderster Stelle steht dabei die Festlegung von Zugangsvoraussetzungen. Zehetmair ist in großer Sorge darüber, daß mit steigenden Gymnasiasten- und Abiturientenzahlen das „Niveau der durchschnittlichen Schülerleistungen am Gymnasium deutlich“ sinken würde. Deshalb will man im Freistaat in Zukunft möglichst ausschließen, daß „nicht geeignete“ Schüler an den Gymnasium „mitgezogen“ werden müssen. Im bundesweiten Vergleich hat Bayern schon jetzt die niedrigste Abiturienten- und die höchste Hauptschülerquote.

Für Georg Wiesmair, den Vorsitzenden der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, versteckt sich hinter der „stärkeren Profilierung der Schularten“ nichts anders als eine „Verschärfung der Auslese“. Schon jetzt würden Unterstufenlehrer an Gymnasiem angehalten, besonders rigide vorzugehen, um nur die Besten den Weg zum Abitur einschlagen zu lassen.

Nach entsprechender Kritik aus den Reihen der CSU-Landtagsfraktion hat sich Kultusminister Zehetmair nun auch dazu durchgerungen, Freiräume für Projektunterricht und „selbstgesteuertes, interdisziplinäres und kommunikatives Lernen“ zu schaffen. Zusätzlich sollten Eltern verstärkt in die Erziehungsarbeit der Schulen einbezogen werden.

Um jeweden Illusionen über eine Demokratisierung der Schule vorzubeugen, stellt Zehetmair klar, daß es „keiner neuen Rechte und Gremien“ bedürfe. Weder die in Bayern Schülermitverantwortung heißenden Schülervertretungen werden zusätzliche Rechte erhalten, noch soll die in Bayern besonders rigide Zensur von Schülerzeitungen aufgeweicht werden. Erziehungsziel „Selbständigkeit und Verantwortung“ hin oder her. Bernd Siegler