Gymnasien zu Eliteschmieden formen

Bayern will den Zugang zum Abitur erheblich verschärfen und mehr Kinder auf die Hauptschulen schicken. Mit einem Volksbegehren wollen Lehrerverbände und Gewerkschaften die frühe Auslese verhindern  ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler

„Überlegen Sie es sich gut, ob Sie Ihrem Kind das Gymnasium antun wollen.“ Solche Warnungen von Lehrern hören Eltern bayerischer Viertkläßler zur Genüge. „Die Hauptschule ist für viele der sicherste Weg“, sekundieren die Schriften des Kultusministeriums. Schließlich sollen im Freistaat nur die Besten auf das Gymnasium – und wer dazu gehört, wird bereits nach der 4. Klasse ermittelt.

Das dreigliedrige Schulsystem, das seine Zöglinge früh nach Begabungen sortiert, ist eine bayerische Spezialität. Nur noch Österreich und einige Kantone der Schweiz stellen die Weichen für Oberschule und akademische Laufbahn so bald. Im Freistaat brauchen Viertklässler einen Notendurchschnitt von 2,33 in den Fächern Deutsch, Mathematik sowie Heimat- und Sachkunde, um den Sprung aufs Gymnasium zu schaffen. Die letzte Chance zum Einstieg besteht in der fünften Klasse. So schaffen es die Bayern, bundesweit die höchste Hauptschülerquote (38,3 Prozent) zu erreichen. Das Abitur machen indes nur 17 Prozent eines Jahrgangs.

Aber selbst dieser schmale Gymnasiastenanteil ist offenbar noch zu hoch. Laut einem Geheimpapier des Kultusministeriums soll die Auslese verschärft werden. Binnen fünf Jahren soll der Hauptschüleranteil in der 8. Klasse auf 45,3 Prozent steigen. Der Zugang zum Gymnasien wird gleichzeitig weiter begrenzt: Um zehn Prozent sollen die Schülerzahlen dort sinken. Aufs Gymnasium kämen demnach GrundschülerInnen nur noch mit einer glatten Zwei.

Grundlage des Papiers – nach Ministeriumssprecher Schmid nur ein „Referentenentwurf unter vielen“ – ist der die landesweite Einführung einer sechsstufigen Realschule. Das heißt: Auch dort soll die Begabungsauslese erheblich früher stattfinden als bislang. Normalerweise beginnt diese Mittelschule ab der 7. Klasse. In einem Modellversuch müssen sich GrundschülerInnen nun schon mit zehn Jahren entscheiden, ob sie auf eine der 50 Testrealschulen im Lande wollen. Vor der Einführung wolle man, so Kultussprecher Schmid, die „wissenschaftliche Auswertung des Schulversuchs abwarten“.

Lehrerverbände und Opposition halten das für ein „Lippenbekenntnis“. Für sie ist die der neue Schultyp längst beschlossene Sache. Deswegen wollen der Bayerische LehrerInnen und Lehrerverband (BLLV) und Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) die Auslese von Zehnjährigen mit einem Volksbegehren stoppen. „Unsere Kinder brauchen mehr Chancen auf schulischen Erfolg und nicht weniger“, kritisiert BLLV-Vorsitzender Albin Dannhäuser. GEW-Chef Georg Wiesmaier betont: „Die neue Schulform zementiert die Ungleichheit Bildungschancen.“ Denn die definitive Entscheidung für ein Studium oder auch nur für den Job einer Zahnarztgehilfin würde dann bereits nach der Vierten fallen. Die Hauptschule werde endgültig zur Lehranstalt für „benachteiligte Schüler“.

Mit dem Volksbegehren wollen beide Verbände erreichen, daß Schüler auch noch nach der sechsten Klasse Hauptschule ins Gymnasium überwechseln können. Nicht mehr die Noten, sondern allein der Elternwille sollen für einen Übertritt ausschlaggebend sein.

Stoiber mit Geschenken gegens Volksbegehren

„Das macht das Gymnasium kaputt“, echauffiert sich sich Toni Schmid. Und von einer „Zerschlagung des gegliederten Schulwesens in Bayern“ spricht Rainer Rupp, Vorsitzender des Philologenverbands. Die Dünnhäutigkeit hat ihre Ursache in der bevorstehenden Landtagswahl. 80.000 Lehrer und die Eltern von 1,5 Millionen SchülerInnen stellen eben ein erhebliches Wählerpotential dar. In den letzten Wochen zeigten Proteste die Unzufriedenheit im Freistaat über Unterrichtsausfälle, Stundenkürzungen und zu große Klassen.

Um die Stimmung zu verbessern und steigende Schülerzahlen bis zum Jahr 2003 bewältigen zu können, verkündete Ministerpräsident Edmund Stoiber jetzt einen „Pakt für Bildung“. Trotz leerer Kassen versprach er die Einstellung von 2.500 neuen LehrerInnen. GEW und BLLV halten solche Stoiberschen Präsente für zuwenig, um die Kürzungen der letzten Jahre kompensieren zu können. Allein 13.000 LehrerInnen wären notwendig, rechnete Dannhäuser vor, um den Standard von 1989 wieder zu erreichen. Mit einer zentralen Großdemonstration am 16. Mai soll daher in München gegen den Bildungsabbau protestiert werden.

Dannhäuser ist indessen optimistisch, die notwendigen 25.000 Unterschriften für die Einleitung eines Volksbegehrens ohne Probleme zusammen zu bekommen – zumal auch innerhalb der CSU viele gegen die sechsstufige Realschule Sturm laufen. Einer davon ist Alois Förtsch, seit 26 Bürgermeister im oberfränkischen Kemmern. Er hat vor zwei Jahren ein Bürgerbegehren im Landkreis Bamberg gegen den Schulversuch initiiert, was jedoch am Einspruch des Verwaltungsgerichts Bayreuth scheiterte.

Der CSU-Mann ist überzeugt, daß die sechsstufige Realschule „pädagogisch ein Unsinn“ und eine Entscheidung in der 4. Klasse über die zukünftige Schullaufbahn sowieso „viel zu früh“ sei. Förtsch ist sich sicher, daß seine Partei in dieser Frage noch einige Schwierigkeiten mit ihren Bürgermeistern bekommen werde. Das ist ihm aber egal: „Ich sage meine Meinung, auch wenn sie von der CSU-Linie abweicht.“