Schmärbäuchiger Schweinerock

■ D.O.A. spielten im Magazinkeller: Eine Party für reife Punks

Freitag im Schlachthof: Die Band war öde, der Sound war mies, der Abend insgesamt dennoch großartig. D.O.A. aus Kanada, eine uralte Punk-Formation, die seit zwanzig Jahren gegen Krieg, Bullen und Umweltzerstörung singt, war zu Gast. Die Veranstalter hatten richtig entschieden, als sie dafür in den hutzeligen Magazinkeller statt in die Kesselhalle luden. Die zum Kneipenraum umfunktionierte Schmiede über dem Keller ist nämlich für jeden Bremer Bunthaarigen voller Erinnerungen an einstige Gelage. Und der düstere Keller ist wie geschaffen für das Abfeiern mit alten Punklegenden.

Ein optimaler Rahmen, um in Würde zu Altern. Und genau darum ging es, denn Punk ist mittlerweile zu einem Phänomen geworden, das dem des Blues ähnelt. Musikalisch und textlich passiert in beiden Sparten seit zwanzig Jahren nichts wesentlich Neues. Wichtiger noch: Es kommen immer dieselben Leute, das Publikum wird kollektiv älter. Jahrelang wurde in Fanzines und an Kneipentischen über diese, der einstigen Aufbruchstimmung des Punkrock widersprechende Tendenz gejammert. Spätestens seit dem D.O.A.-Konzert aber ist klar, daß die Bunthaarigen ihren Frieden mit dieser Entwicklung gemacht haben. Nun sind sie auf dem besten Weg, mit einem Haufen lustiger Parties in stetiger Opposition gegen die Langeweile auch die 40 Lenze-Grenze zu überschreiten.

D.O.A.-Frontmann Joey Shithead machte schließlich vor, wie der Spagat aus ewigjunger Punk-Lebensfreude und immer größerer Verantwortung im Leben auszuhalten ist. Shithead ist nicht stehen geblieben. Neben seinen Punkaktivitäten hat er unzählige andere Projekte angeleiert und ist schließlich in die Politik gegangen – bei der Greens Party von Kanada. Dieter Mützelburg in Ehren, aber der grüne Provinzpolitker aus Kanada hat bei vergleichbarem Alter eine Menge mehr Pfeffer im Hintern. Wie ein Berserker rackerte der Sänger und Gitarrist auf der Bühne, flitzte durch die Gegend und verwickelte sich in seine Kabel, daß es eine Freude war. Der Kopf rotierte, die Augen rollten, die sehnigen Arme rasten am Griffbrett entlang.

Klassiker hat er für D.O.A. in zwanzig Jahren Bandgeschichte genug geschrieben, und Shitheads prägnant raspelnde Stimme klang noch immer jugendlich frisch. Damit war für die meisten erst einmal die Welt in Ordnung. D.O.A. entfesselten das punkige Hitkarussel, auf das alle gewartet hatten und coverten sogar „Class War“von den Dils. Allerdings: das Altern hat seinen Preis gefordert. Ein wenig schimmelig ist der Punkrock schon geworden, den Joey Shithead und Co. im Handgepäck hatten. Die ersten drei Reihen vor der enormen Bühne im winzigen Kellerloch schüttelten sich erwartungsgemäß in Extase, aber richtig warm wurde es dem Großteil der 150köpfigen ZuhörerInnenschaft nicht. Die Band rackerte, das Bier floß in Strömen, aber der letzte, entscheidende Funke sprang nicht über. Wo früher Leute durch die Gegend geschleudert wurden, blieb es diesmal beim Brüllen und Fäuste recken.

Der Stimmung noch abträglicher war die Tatsache, daß D.O.A. auch die Stücke vom neuen Album „Festival Of Atheists“spielten. Die Kanadier suhlten sich ein ums andere Mal gar im schmärbäuchigen Schweinerock. Der matte, Gitarren-arme Sound tat ein übriges, um diese Nummern von jeglicher Dynamik zu befreien.

Und trotzdem war es ein gelungener Abend. Denn die Musik war im Endeffekt weniger wichtig als das Ereignis selbst. Shithead ist ein Symbol: Der Mann hat Energie, und er macht die Ochsentour, weil er es will – nicht, weil er keine andere Wahl im Leben hat. Shithead steht für Punkrock als souveräner Alternative bei der Lebensplanung. Durchweg sehenswert war vor diesem Hintergrund das Schauspiel in der Schmiede: Zottelige Bunthaarige über 30 prosteten einander wohlwollend zu, allesamt froh über den Grund, der Vereinzelung der Mietwohnungsexistenzen für diesen Abend entkommen zu sein. Die gleichen schweren Lederjacken, die selben bunten Frisuren wie vor zehn Jahren, als D.O.A. noch die Kesselhalle füllte. Nur daß kaum noch außer Kontrolle geratene Alkohol-Zombies mit rudernden Armen durch die Menge torkelten – nicht nur, weil heutzutage unter Punks mehr gekifft wird als früher. Genau wie D.O.A. fühlte man sich eben um einiges reifer als früher. Aber immer noch als Punk.

Lars Reppesgaard