„Vincent malt auch auf diese Leinwand“

■ Die „Sonnenblumen“ sind echt! Briefe und Dokumente belegen die Autorschaft van Goghs. Skeptiker hatten das Bild für eine Fälschung des Kunstsammlers Emile Schuffenecker gehalten

In der Diskussion um die Echtheit des fünften von Vincent van Goghs „Sonnenblumen“-Gemälden hat die kanadische Kunsthistorikerin Bogomila Welsh-Ovcharov die monatelangen Spekulationen beendet. Die Van-Gogh-Expertin, die unter anderem für zwei umfassende Retrospektiven 1981 in Toronto und 1988 in Paris verantwortlich zeichnete, belegt mit Hilfe von Briefen und Dokumenten, daß sich die Besitzer des fraglichen Gemäldes lückenlos bis zu van Gogh selbst zurückverfolgen lassen.

Verschiedene Kritiker hatten – unter anderem in der FAZ und in der Zeit – behauptet, das 100,5 mal 76,6 Zentimeter messende Gemälde sei erst zehn Jahre nach van Goghs Tod auf dem Pariser Kunstmarkt aufgetaucht; es handle sich bei dem nicht signierten und in van Goghs Briefen nicht erwähnten Bild um eine Fälschung des Sammlers und Malers Emile Schuffenecker. Dem Amsterdamer Van Gogh Research Project warfen sie vor, es gestehe diese Fälschung nicht ein, weil der Besitzer des 1987 für 72 Millionen Mark ersteigerten Gemäldes, das japanische Versicherungsunternehmen Yasuda, dem Van-Gogh-Museum gerade einen Anbau für 38 Millionen Gulden geschenkt hat. Die Amsterdamer Wissenschaftler hatten dagegen stets auf ihre Unabhängigkeit verwiesen und betont, daß es weder stilkritischen noch materialtechnischen Anlaß zu Zweifeln an der Echtheit der Yasuda-Sonnenblumen gebe (taz vom 16.12. 1997).

Die Vertreter der Fälschungsthese hatten zum einen mit dem ungewöhnlich groben Sackleinen argumentiert, auf dem die fragliche „Sonnenblumen“-Fassung entstanden ist. Zum anderen hatten sie darauf verwiesen, daß über die Herkunft des Gemäldes bis zu einer Ausstellung 1901 in der Pariser Galerie Bernheim-Jeune nichts bekannt sei. Die Leinwand-These hatte bereits das Amsterdamer Forscherteam selbst mit dem Hinweis auf einen Brief Paul Gauguins an Theo van Gogh entkräftet, in dem Gauguin berichtet, er teile sich gemeinsam mit Vincent eine Rolle Sackleinen: „Vincent malt auch auf diese Leinwand.“ Verschiedene berühmte Van-Gogh- Werke wie „Gauguins Stuhl“ und eine Fassung der „Arlésienne“ haben deshalb dasselbe Trägermaterial.

Welsh-Ovcharov fand nun zudem in seit langem zugänglichen, in dieser Hinsicht aber bislang noch nicht herangezogenen Briefen van Goghs, Gauguins und des Pariser Kunsthändlers Ambroise Vollard das Missing link, das die Herkunft der Yasuda-Sonnenblumen lückenlos bis zurück zum Maler selbst belegen kann. Theo van Gogh hatte nach dem Tod seines Bruders im Sommer 1890 dessen künstlerischen Nachlaß zum Teil beim Pariser Farbenhändler Julien „Père“ Tanguy eingelagert. Über dessen Witwe erwarb, wie aus einem Briefwechsel mit Theos Witwe Johanna van Gogh hervorgeht, der Sammler Emile Schuffenecker das Sonnenblumenbild 1894. Daß es sich bei diesem Kauf, wie von den Fälschungstheoretikern behauptet, um eine andere, heute im Philadelphia Museum of Art befindliche Variante handeln könnte, widerlegt Welsh-Ovcharov zweifelsfrei. In der März-Ausgabe der in London erscheinenden Fachzeitschrift The Burlington Magazine weist die Forscherin minutiös nach, daß Paul Gauguin das Philadelphia-Bild noch zu van Goghs Lebzeiten direkt von ihm erworben und dann, als er 1895 nach Tahiti aufbrach, über Ambroise Vollard weiterverkauft hatte. Der Händler täuschte Gauguin damals, wie nach der Recherche von Bogomila Welsh-Ovcharov nun ebenfalls feststeht, über die tatsächliche Höhe des Erlöses.

Die Fälschungsvorwürfe gegen die „Sonnenblumen“ sind damit ebenso eindeutig widerlegt wie der Korruptionsverdacht gegen die Amsterdamer Van-Gogh-Forscher. Sie werten die neuen Erkenntnisse über die Herkunft der Yasuda-Sonnenblumen als Bestätigung ihrer in der taz geäußerten Meinung, nichts spreche gegen die Echtheit des Gemäldes. Die angekündigte material- und stilkritische Untersuchung des Yasuda-Bildes und seiner beiden Schwesterwerke aus der National Gallery in London und dem Van-Gogh-Museum in Amsterdam soll trotzdem wie geplant stattfinden. Stefan Koldehoff