Jesus in Säure aufgelöst – Blasphemie!

Das Verbot des Films „Toto, der zweimal gelebt hat“ wegen „Verletzung der Menschenwürde“ und „Blasphemie“ erregt in Italien die Gemüter. Die Zensur, schon lange umstritten, könnte nun endlich abgeschafft werden  ■ Aus Rom Werner Raith

Der Kampf war nicht ganz unvorhersehbar: Am Wochenanfang hat die Kommission zur Freigabe von Kinofilmen die Aufführung des Streifens „Toto che visse due volte“ (Toto, der zweimal gelebt hat) von Daniele Cipri und Franco Maresco für Italien schlichtweg verboten – und nun ist die Diskussion um den Sinn und vor allem Unsinn von Zensur neu entbrannt.

Das Kontrollgremium, das von der Regierung berufen wird, hat sich diesmal einen besonderen Coup geleistet: Der Film war, nach Vorlage des Drehbuchs, von einer anderen Regierungskommission, der zur Filmförderung, mit einem ansehnlichen Betrag versehen worden. Zur Begründung für den – mit nur einer Gegenstimme gefaßten – Verbotsbeschluß führt das Gremium an, der Film „verletze die Menschenwürde“, „beleidige die Einwohner Siziliens“, und er sei „blasphemisch“.

Insbesondere drei Szenen des Films haben den Zorn der Zensoren erregt: In der ersten wird Jesus Christus nach der Kreuzigung von Mafiosi in Säure aufgelöst; in einer zweiten kommt es zu einer längeren Gruppen-Onanie, in der dritten schließlich gibt es sexuelle Agressionen gegen Heiligenbilder zu sehen.

Dario Fo, Literaturnobelpreisträger 1997 und neben mehreren hundert anderen Kulturschaffenden Unterzeichner einer Forderung nach „sofortiger Aufhebung des Verbots“ kommentiert die Zensorenentscheidung so: „Aha, der Film muß also dieser Szenen wegen verboten werden. Vorige Woche habe ich in unserem Fernsehen einen Film gesehen, in dem Menschen reihenweise in Stücke zerhackt, sexuelle Handlungen ausschließlich als Aggression vorgeführt und reihenweise schwarze Messen zelebriert wurden.“

Tatsächlich ist nur schwer zu verstehen, was die Film-Verbieter zu ihrer Entscheidung gebracht hat. Daß Menschen von sizilianischen Mafiosi in Säure aufgelöst wurden, ist längst gerichtsnotorisch, und auch daß der mafiose Schwur selbst eine höchst blasphemische Aktion ist, weiß man inzwischen: Da wird ein Heiligenbild angezündet, auf das der Mafia-Novize Blut aus seinem zuvor angestochenen Finger laufen ließ, dann wird das Bild brennend in den Händen hin- und hergewendet, bis es nur noch Asche ist, dazu der Schwur der Treue zur Mafia geleistet. All das wird in zahlreichen Kinofilmen en detail dargestellt.

Die Zensurbehörde Italiens ist freilich berühmt wegen ihrer Fehlentscheidungen. 1972 kam Bernardo Bertoluccis „Letzter Tango in Paris“ auf den Index – er wurde erst 1990 rehabilitiert. Pier Paolo Pasolinis letztem Film „Salo oder die 120 Tage von Sodom“ 1975 ging es nicht anders. Zum letzten Mal hatte die Moralkommission 1983 zugeschlagen, als Gianni D'Amico „Io con te non ci sto pi“ auf die schwarze Liste kam.

Daß die Gegner der Kontrollkommission nun mehr als früher auf eine Abschaffung der Behörde hoffen, hängt auch damit zusammen, daß diese seit mehr als anderthalb Jahrzehnten immer nur „provisorisch“ besetzt wurde. Die in den 60er Jahren eingeführte Stelle wurde inzwischen fünfmal „reformiert“, zuletzt 1995, doch niemals ist es gelungen, genügend anerkannte Fachleute in sie hineinzulocken.

Mitte März soll eigentlich ein neues Gremium ernannt werden – und dem wollen die Zensurgegner nun doch noch zuvorkommen. Ihnen schwebt statt der mit staatlicher Autorität ausgestatteten Behörde künftig ein Gremium nach Art der deutschen Freiwilligen Filmselbstkontrolle vor, die allenfalls das Verbot von Filmen für bestimmte Lichtspieltheater und die Freigabe für Jugendliche und Kinder regeln soll. Kulturminister und Vizeregierungschef Walter Veltroni, dem die Zensurbehörde untersteht, hat bereits erkennen lassen, daß er verhandlungsbreit ist.