„Offen bleiben und Spaß haben“

Lothar König ist Jugendpfarrer in Jena und will sich das Klima in der Jungen Gemeinde nicht von den Neonazis versauen lassen. Er malt Transparente für die Antifa-Demo in Saalfeld und hofft, daß sie „Thüringen wachrütteln“ wird  ■ Aus Jena Bernd Siegler

Lothar König rast in seinem VW-Bus durch Jena. Weicht ein Auto nicht schnell genug aus, rattert er über den Gehweg. Der Mann ist 44 Jahre alt, Pfarrer und ein besonnener Mensch. Aber jetzt ist er im Einsatz. „Faschoaufmarsch im Gerichtssaal. Schnell, fahr los“, hat ihm seine Frau am Telefon gesagt. König hat schon lange Grund, solche Meldungen ernst zu nehmen.

Im Amtsgericht wird drei Skins der Prozeß gemacht, die im letzten Sommer den schwarzen Journalisten Kay-Kay Mukumadi zusammengeschlagen haben. Vor seiner Wohnung in Jena. König weiß, daß auf den Zuhörerbänken im Gerichtssaal dicht gedrängt die Gesinnungsfreunde der Angeklagten sitzen. Was der Pfarrer noch nicht weiß, während er das Gaspedal seines Bullis durchtritt, ist, daß die Polizei im Gerichtsgebäude heute auch stark vertreten ist. Und so weicht die Spannung hörbar aus dem Zweizentnermann, als er schließlich auf dem Gerichtsflur steht und tief durchschnauft, bevor er den Einsatzleiter begrüßt: „Gott sei Dank sind Sie dieses Mal da!“

Lothar König ist Jugendpfarrer in der evangelischen „Jungen Gemeinde Stadtmitte“ (JG). Die liegt in der Johannisstraße, direkt gegenüber dem Wahrzeichen der 100.000-Einwohner-Stadt, dem Universitätsturm. Während dessen 26 Stockwerke leer stehen, ist in der Jungen Gemeinde gegenüber immer etwas los. Eine riesige Plastik aus Schrott-Teilen weist den Eingang, an Mülltonnen und Graffiti vorbei gelangt man ins Hinterhaus. Die Wände im Hof sind bemalt. „Alles ist erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten – alles ist erlaubt, aber nicht alles baut auf“ steht an einer Wand. „Viele glauben, das ist ein Anarcho- Spruch“, lacht König. Der Satz stammt aus dem ersten Korinther- Brief des Paulus.

Im Café ist der Kicker umlagert, im Hof liegen noch lebensgroße Puppen vom letzten Workshop, im Büro sitzt Lothar König zwischen Fußballpokalen und Plakatstapeln. Sein Schreibtisch ist voller Kassenzettel, die Abrechnung für die JG steht an. X-mal versucht er vergeblich, ein Feuer in seiner Pfeife zu entfachen, ständig klingelt das Telefon. Beamte des Landeskriminalamts schauen vorbei, und es steht wieder ein „Kooperationsgespräch“ im Innenministerium in Erfurt an. Für die Sicherheitsbehörden in Thüringen ist am 14. März Großkampftag. Antifaschistische Gruppen rufen in Saalfeld zur Demonstration „Gegen jeden rechten Konsens auf“. Deshalb will die NPD am selben Tag am selben Ort für „Meinungsfreiheit für alle Nationalen“ marschieren. Im Oktober letzten Jahres waren beide Demonstrationen verboten worden. Diesmal werden sie wohl stattfinden.

In Thüringen vergeht kaum ein Tag ohne rechtsextreme Straftaten: 1.206 waren es 1997, 1996 wurden 939 rechte Übergriffe aktenkundig. Bezogen auf die Einwohnerzahl, führt Thüringen bundesweit die Statistik an, die Städte Saalfeld und Rudolstadt gelten als rechte Hochburgen. Auch Lothar König und die Junge Gemeinde rufen zur Demonstration gegen die immer frecher auftretenden Neonazis auf: „Saalfeld ist derzeit unser Hauptprojekt“, sagt der Pfarrer. Denn seit seinem Amtsantritt in Jena im Oktober 1990 hat er fast täglich mit dem Problem des Rechtsextremismus zu tun.

Aufgewachsen ist König in Leimbach, einem 600-Einwohner- Dorf im Südharz. Als dem 15jährigen in den acht Wochen schul- und fußballfreier Zeit im Sommer 1969 langweilig war, schrieb er mit weißer Kreide „Dubček!“ an ein Haus. Das hatte Folgen. Die Staatssicherheit fiel in das Dorf ein, und Lothar, in dieser Saison beinahe Torschützenkönig für seinen Verein „Traktor Leimbach“, wurde beim Fahnenappell am Weltfriedenstag nach vorne zitiert. Seine Eltern schämten sich in Grund und Boden, und für Lothar war der Schulabschluß gelaufen. Nach seiner Zeit bei der Nationalen Volksarmee lernte er Werkzeugmacher und engagierte sich unter dem Dach der Kirche in der DDR-Opposition. Schließlich studierte er in Erfurt Theologie.

Seine erste Stelle als Jugendpfarrer bekam König in Merseburg. Als die Kirche ihm dann den Posten in Jena anbot, bei jener Gemeinde, die schon in den 70er Jahren die DDR-Opposition um sich scharte, griff er zu. Die Räume in der Johannisstraße waren damals völlig zerstört, Skinheads hatten Feuer gelegt. König betrachtete den Neuanfang als Chance. Und nicht nur er: „Alle die jungen Leute, die kamen, begriffen dies als einen Ort, wo man seine Hoffnungen und Träume hineinlegen konnte.“ Im Oktober 1991 konnten sie den ersten Raum wieder beziehen.

Nun zog auch Königs Frau Eva- Maria mit den vier Kindern von Merseburg nach Jena. Sie arbeitet als Straßensozialarbeiterin. Kein leichter Job in dieser Stadt der Widersprüche. Während in der „Goethe-Galeria“ Luxuswaren feilgeboten werden, versuchen Bäuerinnen am Eichplatz, vormals „Platz der Kosmonauten“, ein paar Schachteln Eier und drei Eimer Äpfel zu Geld zu machen. Jede/r fünfte in Jena ist arbeitslos. Viel zu tun, und Eva-Maria König macht es Spaß. Die Königs sind fast ein Familienunternehmen in Sachen Sozialarbeit. Sie wohnen im Vorderhaus der JG in der Johannisstraße, und Lothar ist Eva-Marias Chef, was ihr „schon ab und an ein Problem“, bereite: „Aber ich habe meine Freiräume, und die lasse ich mir von niemandem nehmen.“

Die Auseinandersetzungen zwischen „Glatzen“ und „Bunten“, zwischen den „Rechten“ und den „Linken“, drücken auch Eva-Marias Arbeit ihren Stempel auf, mit zunehmender Wucht. Im Herbst 1991, erinnert sie sich, organisierte ihr Mann noch ein Fußballspiel, um die Spannungen zwischen Linken und Rechten abzubauen. Gespielt wurde in der Plattenbausiedlung Lobeda, die inzwischen als die rechte Hochburg in Jena gilt. Zur Halbzeit lag das JG-Team mit 1:2 zurück. Da zog der Pfarrer höchstpersönlich das Trikot über, und am Ende stand es 4:2 für die „Linken“.

„Die Glatzen waren in ihrer deutschen Männerehre gekränkt, aber es hatte allen Spaß gemacht“, erzählt Lothar König. Heute, gut sechs Jahre später, wäre so ein Fair play „unvorstellbar“. Längst geht es ganz anders zur Sache. Begegnungen auf dem Fußballplatz oder gar zum Gespräch gibt es kaum mehr. Im Januar 1992 wurden zwei JG-Besucher von Skinheads derartig verprügelt, daß sie hätten tot sein können. Die Junge Gemeinde reagierte mit Straßentheater: Die Gesichter weiß geschminkt, spielten die Jugendlichen in der Fußgängerzone die Überfälle nach. Die einen wüteten mit Baseballschlägern, die anderen lagen am Ende in Lachen aus Schweineblut: „Das hat gesessen“, erinnert sich König. Die Jenaer mußten hingucken.

Aktionen wie diese sind die Stärke der Jungen Gemeinde. 1995 entstand die umstrittene Schrottplastik, die in der Nacht zum 8. Juli letzten Jahres dem Jugendpfarrer fast zum Verhängnis geworden wäre. Drei Studenten der Jenaer Friedrich-Schiller-Universität – an der der Dichter einst seinen „Tell“ verfaßte – standen vor der Skulptur und brüllten „Entartete Kunst!“. Die hinzugeeilten JG- Aktivisten begrüßten sie mit: „Euch müßte man vergasen.“ Als König versuchte zu schlichten, schlug einer der Studenten mit einem Schlagring zu, traf ihn mit voller Wucht. Sein Auge blieb nur knapp verschont, die tiefe Wunde an der Schläfe mußte genäht werden.

Anschließend zollte der gesamte Stadtrat König und seiner JG Respekt „für ihr demokratisches und soziales Engagement“, Jenas Polizeichef Frank Schnaubert zeigte sich „erschüttert“. Ein Jahr zuvor hatte er noch eine großangelegte Razzia veranlaßt. Knapp hundert Beamte stürmten die Räume der JG und suchten nach Drogen. Sie fanden zehn Gramm Marihuana, und Thüringens Innenminister entschuldigte sich für den überzogenen Einsatz. Insgesamt ist König mit dem Polizeichef aber zufrieden: „Er ist einer der wenigen, die bei Gewalttaten von rechts rigoros durchgreifen.“

Was Rechtsextreme betrifft, ist das Hinterhaus in der Johannisgasse eine Insel der Seligen, doch die Leute der JG bekommen genau mit, was vor sich geht: Wie die Rechten immer wieder aufmarschieren, wie ein Laden für Springerstiefel in der Wagnergasse zur Kontaktbörse wird, wie Punks zusammengeschlagen werden. Wie auf Schildern und Hauswänden Spuckis der „Kameradschaft Jena“ kleben und wie letzten Sommer jeden Abend Skins vor einem Wohnheim tobten, in dem ausländische Studenten wohnen: „Wenn ihr morgen noch da seid, erschlagen wir euch.“

Nur eines bekam auch die Junge Gemeinde nicht mit: daß sich Neonazis in einer Garage im Stadtteil Burgau eine Werkstatt zum Bombenbasteln eingerichtet hatten. „Das kann überall passieren“, kommentierte Bürgermeister Graupe (SPD) den brisanten Fund, und CDU-Stadtratsfraktionschef Frank Schenker sprach von einem „unglücklichen Zufall“. Lothar König ist derlei Verharmlosungen schon gewöhnt. Er befürchtet, daß bei „linken“ Jugendlichen aus einem Ohnmachtsgefühl heraus die Tendenz zunimmt, „ins Konspirative abzugleiten“. Stets predigt er, sich nicht „die Kampfformen der Rechten aufdrängen“ zu lassen: „Ihr werdet so wie die, nur mit anderem Vorzeichen“, hält er den Jugendlichen vor. „Offen bleiben und Spaß haben“ müßte die Devise lauten.

Weil König den Jugendlichen das Gefühl vermitteln will, nicht allein zu sein, hat für ihn die Demonstration in Saalfeld einen „ungeheuer hohen Stellenwert“. Er will „nicht den Saalfeldern ihre Fehler vorhalten“, sondern die Öffentlichkeit in Thüringen „wachrütteln“. Er nimmt damit Innenminister Dewes beim Wort, der noch Anfang Februar Demonstrationen gegen rechte Gewalt als „wichtiges Signal für die demokratische Kultur“ gelobt hatte, inzwischen aber am liebsten beide Demonstrationen verbieten will.

Als im Hof der Johannisstraße das sechs Meter lange Fronttransparent für Saalfeld bemalt wird, ist Lothar König selbstverständlich dabei. Darin sei er „Profi“. Trotzdem dauert es fast acht Stunden, bis auf der Stoffbahn in großen Lettern „Gegen jeden rechten Konsens“ zu lesen ist. In den Pausen spielt König leidenschaftlich Kicker. Ganz im Gegensatz zu seinem sonstigen Verhalten am liebsten in der Verteidigung.