Online ins Steuerparadies

■ Schwarzes Geld verschwindet auf den Konten virtueller Banken im Internet

Das Dominion of Melchizedek ist kaum mehr als eine Sandbank. Irgendwo im Pazifik. Der Zwergstaat besteht aus dem unbewohnten Atoll Taongi (14 Grad 35 Minuten nördlicher Breite und 169 Grad östlicher Länge) sowie der Insel Karitan (24 Grad 10 Minuten südlicher Breite, 158 Grad 37 Minuten westlicher Länge). Karitan ist von Mangrovenwäldern bedeckt und kann nur mit Boot und Hubschrauber erreicht werden. Bei Flut steht die Insel unter Wasser. Das Dominion hat einen Präsidenten, ein Parlament, ein oberstes Gericht – und eine Homepage: www.melchizedek.com.

Die staatlichen Autoritäten von Melchizedek bemühen sich seit über zehn Jahren vor allem um internationale Anerkennung und ums Geschäft. So hat die Zentralafrikanische Republik das Dominion im Juni 1993 staatlich anerkannt. Wirtschaftlich kümmert sich sich das Dominion um die Entwicklung des Banken- und Versicherungssektors.

Steuerfreiheit und minimale Voraussetzungen für das Betreiben einer Bank haben das unbewohnte Dominion „zur Schweiz des Pazifik“ gemacht, sagt die Regierung. Am am besten ist sie über ihre Botschaft im texanischen Austin erreichbar. Sie schätzt die Einlagen der im Dominion registrierten Banken auf 25 Milliarden Dollar. Der Kurs des Melchizedek- Dollars entspricht praktischerweise dem des US-Dollars. Eine doppelte Staatsbürgerschaft ist möglich.

Das Dominion Melchizedek ist Jack Blums Lieblingsbeispiel für das, was er „betrügerische Finanzgeschäfte im Interspace“ nennt. Blum hat zwei Jahrzehnte lang für den US-Senat Wirtschaftkriminelle gejagt. Mit dem Begriff „Interspace“ spielt er auch auf das Internet an, zum Interspace zählen aber zunächst einmal jene rund achtzig steuerfreien Off-shore-Republiken, die heute um die Gunst von Kapitalanlegern werben – in Prospekten und im Internet. „5.000 Milliarden Dollar sind inzwischen off shore angelegt“, schätzt Blum, gänzlich außerhalb der Reichweite der europäischen und amerikanischer Steuerfahnder. 1.000 Milliarden davon lägen auf Bankkonten, der Rest seien Aktien, Wertpapiere und ähnliches. Auf 70 Milliarden Dollar beziffert Blum den Schaden, der allein dem US-Finanzministerium durch solche Anlagen entgeht.

Das Netz ist schneller als der Handkoffer

Das Internet ist nur das neueste Instrument jener Steuerflüchtlinge. Milliarden von Dollar werden nach wie vor im Handkoffer über die Grenze geschafft. Die Bahamas oder die Cayman Islands ermöglichen steuerfreie Geschäfte seit Jahrzehnten. Doch das Internet ist moderner und sicherer. Marc Harris zum Beispiel, Chef der Investmentfirma Harris Organisation in Panama (www.cyber haven.com/globalinvesting/marc harris.htm), empfiehlt schon Privatkunden, per Internet in Steueroasen einzukaufen. Denn damit ließen sich Mehrwertsteuern und Zölle leicht umgehen. Große Firmen könnten durch den virtuellen Verkauf von Leistungen an eigene Töchter ihre Gewinne dort realisieren, wo sie keine Steuern zahlen müssen. Harris bietet von der Steuerberatung bis zur Beschaffung einer zweiten Staatsbürgerschaft in solchen Steueroasen praktisch jeden Service an. Und die Zukunft ist online: „Mit der steigenden Nutzung des Internets gewinnt der Konsument, die Regierung verliert. Nur eine Regierung kann darüber klagen.“

Dazu haben die Regierungen auch allen Grund. Blum berichtet vom vergeblichen Versuch der Strafverfolgungsbehörden, zum Beispiel der European Union Bank of Antigua beizukommen. Die Bank habe als „World's First Internet Bank“ im Net für sich geworben und ordentliche Renditen versprochen. Das Geld der Anleger, die größere Summen auf den elektronischen Konten der Bank deponiert hatten, war nach einiger Zeit an eine Firma auf den Bahamas für ein Investitionsprojekt verliehen worden. Die Firma auf den Bahamas ging pleite, die Bank sah ihr Geld nie wieder. Sein Klient, erzählt Blum, habe versucht, wenigstens seine Einlagen zurückzuerhalten. Dabei habe sich herausgestellt, daß die Bank, die russischen Geschäftsleuten gehörte und in Antigua registriert war, eigentlich nur auf einem Computer in der US-Hauptstadt Washington existierte und ihre Geschäfte von Montreal aus gesteuert wurden.

Vor diesem Ergebnis der Recherche haben die US-Strafverfolgungsbehörden kapituliert. Es erschien ihnen fast unmöglich, auch nur zu klären, unter welche Gesetze das Verschwinden der 15 Millionen Dollar fällt, die den Anlegern abhanden gekommen waren, und wen man für das Verschwinden belangen könnte.

Gewiß ist das Internet weder für die Gründung einer solchen Bank verantwortlich noch für die Neigung von Investoren zur Steuerflucht oder die Bereitwilligkeit von Steueroasen, per Gesetz die Gründung solcher Firmen zu fördern. Antigua sei als Staat eben nur das Privateigentum des Byrd-Clans, bekannte Blum resigniert.

Aber das Netz erleichtert diese Art von Geschäften. Einschlägige Tips sind unter www.cyberhaven com nachzulesen. Die PT Shamrock von der britischen Isle of Man zum Beispiel weiß genau, „wie Sie Ihren Hintern in Freiheit und Ihre Anlagen steuerfrei erhalten! Holen Sie Ihr Geld aus dem Land, bevor das Land Ihr Geld holt!“ Freundlicherweise garniert PT Shamrock seine Homepage mit der Warnung: „Diese Seite ist nicht pc. Besuch auf eigene Gefahr“ (www.ptshamrock.com). Die Firma privacy-solutions bietet gar die Einrichtung eines virtuellen Büros an: „Das liegt im Cyberspace, wo Sie keine Steuerbehörde je finden wird. Und es bedient Ihre Kunden 24 Stunden am Tag, selbst in den Ferien.“ Kosten: 160 Dollar im Jahr, mit eigener Homepage 300 (www.privacy-solutions.com).

Das internationale Recht ist nicht in der Lage, mit dem Tempo der elektronischen und virtuellen Geschäfte mitzuhalten. Außerdem mangelt es immer noch an politischem Willen. Gegen amerikanische Großbanken wie die Citibank wird zwar ermittelt, weil sie an der Geldwäsche beteiligt gewesen sein sollen. Auch die Durchsuchungen der vergangenen Monate in deutschen Großbanken haben gezeigt, daß Geldhäuser beim elektronischen Steuerbetrug aktiv sind. Doch das sind nur Koppersche Peanuts. Allein auf den British Virgin Islands sind nach Blums Recherchen etwa 90.000 Firmen registriert: „Unglaubliche Mengen an Geld sind völlig jeder Regulierung und Besteuerung entzogen.“ Zwar steigt das Interesse der Industriestaaten, die legale Steuerflucht zu stoppen. Die britische Regierung sprach im vergangenen Jahr von einem „schwarzen Loch im Cyberspace“, in dem Milliarden von Pfund verlorenzugehen drohten.

Der nächste Crash kommt aus dem Internet

Alle großen Industriestaaten klagen über ein Wirtschaftswachstum, das nicht mehr zu einem Mehr an Steuereinnahmen führt. Und letzten Monat haben sich erstmals Vertreter der deutschen, britischen, französischen und der US-Regierung getroffen, um über Wege gegen diese Steuerflucht online zu beraten. Doch gleichzeitig wirbt SCF aus London (www .scfgroup.com) im Internet für seine Grün-Bücher, die die Steuerschlupflöcher gerade dieser vier Länder analysieren.

Die Fortschritte der Steuerbehörden sind viel zu langsam. Blum warnt, schon innerhalb weniger Jahre könnten die unkontrollierbaren Off-shore-Geldgeschäfte eine solche Bedeutung erlangen, „daß ein Desaster wie 1929 wieder möglich wird“. Die Justiz sei ohne neues internationales Recht einfach überfordert. Ein Geschäft, das sich in mehreren Ländern abspielt, sei derzeit juristisch nur mit großem Aufwand zu fassen.

„Deswegen ist es nur natürlich, wenn sich die Strafverfolgungsbehörden auf Autodiebstähle und Handtaschenraub an der Ecke konzentrieren“, spottet Blum. Wie wenig selbst die Phantasie der Experten einen Ausweg aus der Gefahr weist, zeigten jedoch seine eigenen Vorschläge. Es müsse verhindert werden, fordert er, daß in immer neuen Steueroasen das Gründen von Banken und Finanzinstituten leichtgemacht werde. „Das beste wäre es, einfach den Flugverkehr und die Telekommunikation mit solchen Off-shore- Steuerparadiesen wie Antigua einzustellen. Die müßten von allen touristischen Karten verschwinden, sollen sie doch mit dem Ruderboot ihre Geschäftsbeziehungen pflegen.“

Das erste Treffen der Regierungen im Februar bewies indessen überdeutlich, daß in den Industriestaaten selbst zuerst einmal die Hausaufgaben gemacht werden müssen. Oder, wie es ein bekannter US-Cartoonist formuliert: „Wir haben den Feind entdeckt, wir selbst sind es.“ Hermann-Josef Tenhagen

ten@taz.de