Sozialmißbrauch saniert Finanzen

Offenbachs OB will Angestellte massenhaft verbeamten. Notwehrreaktion gegen Bundespolitik. Kommunalaufsicht findet es interessant, Gewerkschaften protestieren  ■ Von Christian Füller

Berlin (taz) – Die Offenbacher Massenverbeamtung findet Gefallen bei der Kommunalaufsicht. Der Darmstädter Regierungspräsident Bernd Kummer findet es einen „interessanten Vorschlag“, 400 städtische Angestellte ins Beamtenverhältnis zu überführen. Alles, was dem Stadtsäckel Geld sparen helfe, werde wohlwollend geprüft, sagte er der taz. Der Bürgermeister der 120.000-Einwohner-Stadt Offenbach, Gerhard Grandke (SPD), hatte die Verbeamtung vorgeschlagen. Sie spare jährlich zehn Millionen Mark an Versicherungsausgaben.

Grandke kündigte gestern der taz an, er werde nun die versicherungsmathematischen Berechnungen seines Modells an den Regierungspräsidenten weiterleiten. Sobald die Genehmigung erteilt sei, würden 400 Angestellte zu Staatsdienern. Offenbach hat derzeit 988 Personalstellen in seiner Stadtverwaltung. Davon sind bislang 465 Beamte und 496 Angestellte, die verbleibenden sind Arbeiter. Die Massenverbeamtung spare 1.763 Mark brutto im Monat je Angestellten, hatte Grandke vorgerechnet. Von den jährlichen Einsparungen gehen fünf Millionen in die Haushaltssanierung. Weitere fünf Millionen will Grandke in einen städtischen Pensionsfonds einzahlen. Dies ist ein einmaliger Vorgang in Deutschland. Beamtenpenionen werden sonst aus dem laufenden Etat bestritten.

„Aus gesamtgesellschaftlicher Sicht ist diese Verbeamtung problematisch“, kommentierte der Experte für öffentliche Finanzen am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Dieter Vesper, den Vorstoß Grandkes. Die bislang im Angestelltenstatus beschäftigten MitarbeiterInnen zahlten nach der Verbeamtung nicht mehr in die Arbeitslosenversicherung ein. Auch der Krankenversicherung, in die Beamte wegen der staatlichen Beihilfenregelung im Krankheitsfall weniger einzahlen, gingen wichtige Versicherte verloren. „Aber darauf hat ein Bürgermeister nicht zu achten“, sagte Vesper vom Berliner Institut DIW. Die Gewerkschaften ÖTV und DAG hatten Grandkes Pläne als „kommunalen Sozialmißbrauch“ kritisiert.

Der OB selbst rechtfertigte sein Vorgehen, „weil wir dadurch eine Menge Geld sparen“. Offenbach verwirkliche seit seinem Amtsantritt 1993 ein „integriertes Konzept“ der Verwaltungsmodernisierung – und komme dennoch nicht aus den roten Zahlen heraus. Der jetzt angekündigte Schritt sei eine „Notwehrreaktion“ gegen sinkende Steuereinnahmen und steigende Sozialausgaben wegen Arbeitslosigkeit, Bürgerkriegsflüchtlingen und Kindergartenplätzen. Der Oberbürgermeister verteidigte seine kommunalen Staatsdiener. „Wir haben die höchste Durchlaufgeschwindigkeit in der Bauaufsicht in Deutschland, und das sind alles Beamte.“

Gerhard Grandke hatte die quasi bankrotte Stadt Offenbach seit 1991 als Kämmerer, später als direkt gewählter OB einem beispiellosen Sanierungskonzept unterworfen. Er reduzierte den Personalbestand der Kommune durch Ausgliederung in Eigenbetriebe und Stellenabbau von 2.526 Stellen (1991) auf 988 Beschäftigungspositionen (1998). 400 Stellen baute er allein im Kernbereich der Stadtverwaltung ab – in Jugend-, Sozial- und Schulämtern sowie der Administration der kommunalen Finanzen und des Personals. 1.118 Stellen gingen in ausgelagerte Einrichtungen wie den „Eigenbetrieb der Stadt Offenbach“. Trotz der Sanierung wies der 97er Haushalt ein Defizit von 68 Millionen Mark aus. Selbst Ansiedlungen von 7.000 neuen Arbeitsplätzen im Gebiet Kaiserlei konnten den fortgesetzten Niedergang nicht verhindern. Kommentar Seite 12