Windpark - Gefahr für Leib und Seele?

■ Stimmungsmache in Ahlerstedt zerreißt die Gemeinde. Verursachen Windkraftanlagen Sehschwäche und Angstzustände? Landschaftsschützer warnen vor drohenden "Gesundheitsschäden" durch Infraschall. Gemeind

Damit hatte Luder Pott nicht gerechnet. Der Christdemokrat sitzt seit zwei Jahren im Gemeinderat der kleinen Ortschaft Ahlerstedt bei Hamburg. Früh war er Anfang Januar im großen Saal des Gasthauses „Schützenhof“ aufgetaucht, um sich einen der 300 Sitzplätze zu sichern. Doch rund 500 Bürger waren gekommen, der Saal bis auf den letzten Platz besetzt. „Vor einem halben Jahr wäre das nicht vorstellbar gewesen“, meint Pott. Wie sich die Zeiten und auch die Stimmung in Sachen Windparkplanung eben ändern können. Der Grund: Der Bundesverband Landschaftsschutz (BLS) hat seinen Frontmann Walter Niemand im Sommer vergangenen Jahres in Ahlerstedt ins Rennen geschickt. Auf internen Listen des BLS taucht unter der Rubrik „Ansprechpartner im Zusammenhang mit Windkraftkritik“ die Kontaktadresse von Niemand auf. Nach eigenen Angaben ist der Diplom-Ingenieur aus dem friesischen Wangerland Experte für Schall und Infraschall. Über 40 Windmühlen mit mehr als fünfzig Megawatt sind seit zwei Jahren am Ortsrand von Ahlerstedt geplant.

Rund 100 Millionen Mark sollen in das Projekt investiert werden. Die Stromausbeute würde ausreichen, um die 5.000 Einwohner der Samtgemeinde Harsefeld mit Energie zu versorgen. Die Planungen liefen problemlos, die Mehrheit der Bevölkerung war für das Projekt. „Erst nachdem Walter Niemand hier im Ort zwei Vorträge über die gesundheitlichen Folgen der Windkraftnutzung gehalten hat, kam es zur Bildung einer kleinen Interessengemeinschaft gegen Windkraft“, erklärt Hans-Jürgen Vieths, Sprecher der Grundstückseigentümer im geplanten Windpark.

In der Windszene ist Walter Niemand kein Unbekannter. Bei seinen Vorträgen stützt er sich vor allem auf eine bereits im Januar 1991 im US-Magazin Noise Control Engineering Journal veröffentlichte Nasa-Studie. Tenor: Die Schallimmissionen von Windkraftanlagen machen krank. Symptome wie Sehschwäche, Schlaflosigkeit, Herzrhythmusstörungen und Angstzustände seien nicht auszuschließen. Als ganz bedrohlich werden die Auswirkungen des Infraschalls von Niemand bei seinen Vorträgen herausgestellt. Beim Infraschall handelt es sich um nichthörbare Tonfrequenzen kleiner als 20 Hertz, die jedoch körperlich wahrnehmbar sind. Typische Infraschallquellen sind beispielsweise Gewitter, große Maschinen und Flugzeuge. „Je tiefer die Frequenz ist, desto höher muß der Schalldruckpegel sein, damit der Mensch eine Wahrnehmung erfährt“, meint Helmut Klug, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Windenergie-Institut in Wilhelmshaven. Klug hat sich intensiv mit mehreren von Walter Niemand erstellten Gutachten auseinandergesetzt. Sein Eindruck: „Zahlreiche nachweislich falsche Annahmen und fehlerhafte Berechnungen führen dazu, daß Niemand immer wieder vor einer Gesundheitgefährdung durch Windkonverter warnt“, so Helmut Klug.

Zu einem vergleichbaren Ergebnis kommt auch Andreas Buhmann von der Planungsgemeinschaft Energie und Umwelt in Oldenburg. Um Infraschall in der näheren Umgebung von Windkonvertern wahrnehmen zu können, müssen Geräuschpegel von über 120 Dezibel überschritten werden. „Solche Werte werden an keiner einzigen Windkraftanlage in Deutschland gemessen“, sagt Buhmann. Für ihn steht fest, Walter Niemand verbreite nur Angst und Panik, um den Ausbau der Windenergie zu verhindern. Da werde Infraschall mit radioaktiver Strahlung verglichen und häufig entstehe der Eindruck, Infraschall verursache selbst Elektrosmog.

Walter Niemands wissenschaftlich nicht haltbare Infraschall-Thesen haben jedenfalls etliche Bewohner in Ahlerstedt nachhaltig beeindruckt. Die Lehrerin Angela Fischer beispielsweise hatte nach den Vorträgen des BLS-Experten schlaflose Nächte. Ihr Alptraum: In zwei Kilometer Entfernung stehende 600-KW-Rotoren würden sie und ihre Nachbarn quasi nicht hörbar durch Infraschall versaften. „Infraschall, Teufelszeug – schlimmer als Elektrosmog, so ist hier die Stimmung“, erklärt Windparkplaner Martin Sprötge. Angela Fischer gründete zusammen mit vier ebenfalls verängstigten Bürgern die „Initiative gegen Windkraft“. Im Mai schrieb das lokale Buxtehuder Wochenblatt: „Bis auf zwei kritische Stimmen herrschte in Ahlerstedt allgemeine Zustimmung zu den vorgestellten Plänen.“ Im September tauchte Walter Niemand wieder auf, referierte und warnte vor dem Zerfall von Dorfgemeinschaften, Werteverfall von Immobilien, Rückgang des Fremdenverkehrs und vor den gesundheitlichen Folgen durch Infraschall. Prompt hieß es Tage später im Lokalblättchen: „Auf einer Informationsveranstaltung der Gemeinde waren sich alle einig: Windkraft ist eine tolle Sache, im Namen der Umwelt müssen Windparks her. Jetzt heißt es plötzlich: Wir wollen keine Windkraftanlagen. Elektrosmog, Lärmbelästigungen und Anstieg der Strompreise.“

Auch CDU-Gemeinderat Luder Pott versteht die Welt nicht mehr. Unzählige Gutachten seien im Rahmen der Windparkplanung durchgeführt worden, alle offenen Fragen zigmal aufgegriffen, endlos im Gemeinderat debattiert – und dann die Proteste. „Das ist mit einer Gehirnwäsche vergleichbar, was hier in den letzten Monaten abgelaufen ist“, meint Pott.

Angela Fischer rührte in den vergangenen Monaten kräftig die Anti-WKA-Werbetrommel. Auf Flugblättern wurde eine düstere Zukunft für die kleine Gemeinde skizziert. „Ahlerstedt 1998 – Nein Danke?“, so der Titel über ein schwarzgelbes Horroszenario. Windmühlen so groß wie der Pariser Eiffelturm, davor die winzigen Häuser und der einsame Kirchturm. „Mit solchen plumpen Darstellungen wird natürlich Angst geschürt“, erklärt Planer Sprötge. Die Argumente der Windkraftgegner lesen sich wie die Positionspapiere des BLS. Durch Windkraft werde auch in Zukunft kein einziges Atomkraftwerk überflüssig. Dafür habe Windenergie folgende Nachteile: „Gefährdung der Gesundheit vieler Menschen, z.B. durch Dauerlärm und Infraschall (sehr weit reichender und nicht hörbarer tieffrequenter Schall).“ Und dann vor allem die höheren Strompreise, „insbesondere für Privathaushalte“. Der Netzanschluß der Windmühlen in Ahlerstedt käme die Familien teuer zu stehen, heißt es. „Höhere Stromkosten – durchschnittlich 400 DM pro Jahr für jede Familie“, stand in den Flugblättern zu lesen. „Es ist einfach nicht zu fassen, daß viele Leute auf diesen Schwachsinn reinfallen“, meint Luder Pott. Er sei tatsächlich auf der Straße angesprochen worden, wenn er für den Windpark stimme, würde man ihm die Rechnung für die erhöhten Strompreise schon präsentieren.

Weil die Stimmung gegen den Windpark von einer Handvoll Gegner mit falschen Argumenten angeheizt wurde, hatte Bürgermeister Hinrich Steffens Anfang Januar noch einmal Gegner und Befürworter in den Schützenhof geladen. Vom BLS mit von der Partie: Walter Niemand, Lothar Hoischen, der eigens aus Marburg angereist war, und Wulf Hartmann. Unisono tönten sie gegen den Windpark und machten nebenbei noch ein wenig Wahlkampf für die Kandidaten, die sich nun klar gegen die Planung einsetzen.

Beim Stichwort Kosten für den Windstrom ging der BLS-Riege dann doch die Puste aus. Christian Wulf, Fraktionsvorsitzender der CDU-Landtagsfraktion in Niedersachsen, wurde mit seinen Berechnungen zitiert. Demzufolge mache eine bundesweite Umlegung für alle in Deutschland verbrauchten Kilowattstunden (kWh) aus Windenergie nur eine Strompreiserhöhung von 0,07 Pfennig aus. Bei einem durchschnittlichen Verbrauch von 4.000 kWh bei einer vierköpfigen Familie entspricht das einer Mehrbelastung von gerade mal 2,80 Mark im Jahr. Windstrom koste weniger als eine Packung Zigaretten. „Das Problem ist, wenn sich die vom BLS gestreuten Vorurteile gegen die Windenergie erst einmal in den Köpfen der Menschen festgesetzt haben, dann gibt es kaum noch eine Möglichkeit, mit sachlichen Argumenten wieder auf ein vernünftiges Diskussionsniveau zu kommen“, meint CDU-Gemeinderat Pott.

Selbst wenn der Windpark in Ahlerstedt nicht mehr aufzuhalten ist, die Gemeinde hat sich verändert. Nachbarn grüßen sich nicht mehr, Risse ziehen sich quer durch Vereine, selbst in Familien stehen sich Windkraftgegner und -befürworter unversöhnlich gegenüber. „Wäre der BLS hier nicht aufgetaucht, dann könnten wir noch vernünftig miteinander reden“, meint ein Windkraftbefürworter. Doch diese Zeiten sind in Ahlerstedt längst vorbei. Michael Franken