Nächte im Kloster

■ Wim Wenders widmete der Band Madredeus seine "Lisbon Story". Dabei schockte ihr Begründer Pedro Ayres Magalhaes einst mit portugiesischem Punk

Herbst 1994, Berlin-Kreuzberg: Interviewtermin im Tonstudio. Dieser Kerl in ausgebeulten Jeans, der sich auf dem Sofa neben dem Mischpult flegelt, der soll's sein? Bartstoppeln, Augenringe, Hemd aus der Hose gerutscht. Rauchig dröhnende Stimme, mit der er wahrscheinlich seine Kumpel am Tresen ganz prächtig unterhält. Aber dieser Typ hält eine Gitarre im Arm. Und klimpert mit seinen Fingern erstaunlich filigran über die Saiten. Er ist es tatsächlich: der „Erfinder“ einer musikalischen Poesie, wie ihn die portugiesische Zeitschrift visão nannte, vom ehemaligen Staatspräsidenten Soares mit nur 35 Jahren für sein musikalisches Werk ausgezeichnet. Ausgerechnet Pedro Ayres Magalhães, der einst mit portugiesischem Punk schockierte, wird heute als kultureller Botschafter seines Landes gehätschelt.

Er ist Komponist, Gitarrist und Produzent von Madredeus – der einzigen portugiesischen Gruppe, die auch im Ausland Erfolge feiert. Allein diese Tatsache ist bemerkenswert, denn wer kannte vor Madredeus schon Musik aus Portugal? Das Land der kultivierten Seefahrerromantik erschien musikalisch im Ausland – wenn überhaupt – mit rührseligem Fado aus Lissaboner Spelunken.

Na gut. Wer wie Pedro Ayres täglich mindestens zwölf Stunden arbeitet, besessen von einer Idee, der sieht nicht aus wie das blühende Leben. Zwischen Auftritten in Tokio, Stockholm, London und Genf war er im Herbst 94 in Berlin, um nebenbei die CD „Ainda“, den Soundtrack zu Wenders' Film, fertig zu mischen. Redet hier jemand von Arbeit? Ach was, Pedro Ayres ist vernarrt in die Idee, eine eigen- ständige portugiesische Musik zu kreieren, jenseits der anglo-amerikanischen One-size-fits-all-Kultur. Für Pedro Ayres war das eine Reise vom Punk zum Poeten.

Schleichwege in die Seele

Tatsächlich paßt die Musik von Madredeus in kein Gefüge aus Poprock, Folklore, Klassik oder Jazz. Sie bedient sich in der traditionellen portugiesischen Folklore. Vom Fado hörte sie sich den sehnsüchtig melancholischen Ton ab, und zusammen mit den Ideen von Pedro Ayres entstand eine sehr emotionale Mixtur, die sich in die Seele einschleicht – unter anderem in die von Wim Wenders. Und man darf schon mal fragen, ob seine „Lisbon Story“ eigentlich einen Soundtrack hat oder ob Wenders nicht eher umgekehrt einen Film zur Musik drehte? Sicher ist: Vor der ersten Einstellung, bevor es überhaupt eine Art Drehbuch gab, existierte die Musik. Während der Dreharbeiten, im Auto, auf dem Weg nach Hause, nachts, wenn er am Drehbuch weiterschrieb – Wim Wenders hatte den Soundtrack im Ohr, und die Stimme von Teresa Salgueiro, die sich leicht wie ein Atemzug in schwindelnde Höhen wiegt.

Es war im Herbst 1986, als Pedro Ayres auf Teresa aufmerksam wurde – so beginnt die Gründungslegende. Ein Freund hatte das 17jährige Mädchen in einem Lissaboner Café singen gehört, hatte ihre Stimme mit einem Walkman aufgenommen, und als Pedro Ayres diese Stimme hörte, rief er nur: „Ah, sie ist es.“

Nichts außer „zaghafter Theorie“ und „Absichten auf verlorenem Papier“ hatten er und der Kollege Rodrigo Leão vorher zustande gebracht: Eine neue Musik wollten sie erschaffen, eine instrumentale portugiesische Poesie, die die Landschaften, Städte und alltäglichen Gesichter des südeuropäischen Landes in einen Klang verwandeln sollte. Eine Vision, die sich erst mit der Stimme von Teresa realisieren ließ.

In einer halbverfallenen Klosterkirche, die teils als Theatersaal restauriert worden war, probten die Musiker nach dem Ende der abendlichen Vorstellungen. Dort entstanden die ersten eigens für die Teresas Stimme komponierten Lieder, lediglich von klassischer Gitarre, Piano, Violoncello und Akkordeon begleitet. Noch heute bevorzugt die Gruppe Theatersäle oder Kirchen für ihre Konzerte.

In der Klosterkirche im Lissaboner Alststadtviertel Madredeus wurde die erste von mittlerweile fünf Platten aufgenommen: „Os Dias de Madredeus“. Der Name des Viertels – übersetzt: „Mutter Gottes“ – ist kein Programm, sondern wurde damals einfach beibehalten. Man verstand sich als einmaliges Projekt, nicht als feste Formation. Keiner ahnte den Erfolg, nicht mal Pedro Ayres, der noch Ende der siebziger Jahre, als der Rock etwas verspätet auch Portugal eroberte, für verrückt erklärt wurde: Portugiesisch könne man nicht singen, höchstens im Fado.

Sprachverliebt in poetische Details

Nein, es konnte nicht darum gehen, einen lauen portugiesischen Abklatsch des Rock zu produzieren, befand Pedro Ayres. Diese weiche Sprache könne man nicht in derartige Rhythmen quetschen, und so versuchte sich der Musiker am Gegenteil, am melodischen Spiel mit Worten: „Man muß einen Klang erfinden, eine Bewegung, Melodien, die durch die Worte bestimmt werden.“ Das Ergebnis ist eine melancholische Musik mit kurzen poetischen Texten, die keine Romane erzählen, sondern sich um ein Detail drehen, einen Gedanken in Bildern ausspinnen. „Langsam, nur Ruhe“, sagt Pedro Ayres Magalhaes, der auf alten Fotos als wuchtiger Trotzkopf über die Bühne stampft, „erst mit der Zeit wird man die Texte in ihrer ganzen Bedeutung entschlüsseln.“ Es ist sein Versuch, ein Land zu beschreiben, das nur in seiner Phantasie existiert.

Egal, ob man nun die Texte versteht oder nicht, im Konzert lehne man sich zurück und gebe sich den Klängen hin: „Stell dir 2.000 Japaner im ausverkauften Konzert in Tokio vor“, lächelt Magalhaes, „und alles heult! Na gut, wir haben einfach weitergespielt.“ Daß Madredeus in Japan mehr Platten verkaufen als Paul McCartney, darauf ist der Portugiese richtig stolz. Spätsommer 1996: Madredeus kehrt zurück nach Lissabon, in die Stadt, in der ihre Musik geboren wurde. Einige hundert Konzerte liegen hinter ihnen, ständig neue Hotels, neue Konzertsäle: „Alles ist Routine“, hatte Pedro Ayres schon im Herbst 1994 gesagt, „nur die Konzerte, die sind jedesmal ein Ereignis.“

Jahrelang auf Tour – und am Ende ausgelaugt? Gerüchte schwirrten durch die Presse, die Gruppe löse sich auf. Schließlich verließen Gabriel Gomes und Francisco Ribeiro Madredeus. Herbst 1997: Ohne Akkordeon, ohne Violoncello, aber mit einem neuen Gitarristen hat Madredeus eine neue CD produziert mit dem nicht ganz unbescheidenen Titel „O Paradiso“ – das Paradies. „Tolles Thema, was?“ feixt Pedro Ayres. Madredeus wieder auf Tour und Teresa singt, so wunderschön wie immer. Alles ist gut. Kirsten Wulf

Tour: 3.2. München, 5.2. Hamburg