Polizei in Chiapas erschießt Demonstrantin

30.000 Menschen protestieren vor dem mexikanischen Regierungspalast für die Entmilitarisierung von Chiapas. Doch aus dem Bundesstaat kommen schlechte Nachrichten. Eine Provokation der Regierung?  ■ Aus Mexiko-Stadt Anne Huffschmid

Wie eine Bombe platzte die Nachricht von neuen Todesopfern polizeilicher Gewalt in Chiapas am Montag abend in eine Protestkundgebung in Mexiko-Stadt. Rund 30.000 Menschen waren am Nachmittag hinter einem „Ya Basta“- Transparent vor den Regierungspalast marschiert, um die Entmilitarisierung des Bundesstaates und die Bestrafungen „aller Verantwortlichen“ für das Massaker von Acteal zu fordern.

Angeführt wurde der Zug von einer Gruppe von Tzotzil-Indigenas, die den Massenmord an 45 Indios in der kleinen Hochlandgemeinde am 22. Dezember nur knapp überlebt hatten. „Ihr seid nicht alleine“, wurde ihnen von den Teilnehmern entgegengerufen.

Weiße Blumen und wollene Skimützen, schwarze Tücher, Zapata- Bilder und kleine Papierkreuze bestimmten das Bild des zornigen Trauermarsches. Eine Gruppe trug 45 Pappsärge mit den Namen der Massakrierten. Schilder mit der Aufschrift „Zedillo, Kindermörder“, „Armee raus aus Chiapas“ oder auch einfach ein großes, rotes Fragezeichen flankierten den Menschenstrom.

Auf der Abschlußkundgebung unterbrach die Schauspielerin Julieta Elurroga plötzlich das Verlesen von unzähligen Grußbotschaften aus aller Welt und gab die schlechte Nachricht bekannt: soeben habe man erfahren, daß auf einem Friedensmarsch in der Provinzhauptstadt Ocosingo in Chiapas eine Frau von Polizisten erschossen und zwei weitere Demonstranten, darunter ein Kind, schwer verletzt worden seien. Viele der Anwesenden schüttelten fassunslos die Köpfe. Nach einer Schweigeminute und dem Glockengeläut der Kathedrale schallten dann wieder, lauter als zuvor, die „Mörder, Mörder“-Rufe über den Platz.

Wenig später bestätigte das Innenministerium in einer knappen Erklärung den „bedauerlichen Vorfall“. Nach Reporterberichten hatten mehrere tausend Demonstranten in Ocosingo am Ortsausgang eine Straßensperre errichtet. Ein Polizeifahrzeug hatte daraufhin unter Einsatz von Tränengas versucht, die Barrikade zu durchbrechen. Als die Menge sich mit Steinwürfen gegen die Uniformierten wehrte, schossen diese zurück: erst in die Luft, dann in die Menschenmenge. Guadalupe Méndez López, eine 25jährige Tzeltal-Indigena, starb kurz darauf an den Schußverletzungen im Krankenhaus, ihre zweijährige Tochter und ein 17jähriger Jugendlicher wurden schwer verletzt.

Der neue Gouverneur, Roberto Albores Guillén, forderte noch am Abend beim Innenministerium die Hilfe der Bundesarmee bei der Festnahme der Todesschützen und beim nun dringend notwendigen „Umbau des gesamten Sicherheitsapparates“ an. Bis gestern wurden 27 Polizisten festgenommen.

Ob dieser neue „Vorfall“ den mühseligen Befriedungsprozeß in Chiapas aufhalten könne, wollte am Montag abend ein TV-Reporter vom Innenminister Francisco Labastida wissen. „Ich denke nicht“, antwortet dieser zuversichtlich, ganz im Gegenteil sei die schnelle Reaktion offizieller Stellen doch der „beste Beweis für den Willen der Regierung, die Rechtsstaatlichkeit herzustellen“.

Das Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de las Casas sieht in der Polizeiattacke hingegen „eine weitere Provokation“, die das ohnehin „fragile Vertrauen in die Regierung“ vollends zu zerstören drohe. Dazu dürften auch die neuesten Ermittlungsergebnisse in Sachen Acteal beitragen: Auf Initiative der ermittelnden Bundesstaatsanwaltschaft wurde am Montag erstmals ein leitender Polizeibeamter, Felipe Vazquez Espinosa aus der Gemeinde Los Chorros, festgenommen. Los Chorros gilt in der Region als Hochburg der paramilitärischen Milizen. Vazquez Espinosa soll den Paramilitärs Zugang zu Waffen aus Polizeibesitz verschafft haben – nach eigener Aussage „auf Befehl von oben“.