Nicht nur für Smilla-Fans

■ Die Welt ganz oben und ganz unten. Die Schau "Arktis-Antarktis" in der Kunst- und Ausstellungshalle in Bonn erkundet die Polwelten. Orientierungen zwischen Ökologie und Kunst

Die Antarktis. Unendliche Weiten... unendlich viele Pinguine... Das heißt, eigentlich sind es genau 57. Sie sind aus Holz und stehen zwanglos in der Gegend herum, jeder auf seinem kleinen Podest. Die Pinguininstallation von Stephan Balkenhol ist das medienmäßig erfolgreichste Exponat der „Arktis– Antarktis“-Ausstellung – kein Fernsehteam, das nicht einmal drumherum gelatscht wäre. Dabei hat dieses Großprojekt der Kunst- und Ausstellungshalle der BRD in Bonn durchaus mehr zu bieten als die putzigen Kerlchen, bei denen Gott offensichtlich die Hände vergessen hat.

„Arktis–Antarktis“ will den fremden Lebensraum ganz oben und ganz unten auf der Erde auf wissenschaftlicher Grundlage umfassend darstellen. Natürlich interdisziplinär, mit Hilfe von Anthropologie, Ökologie, Metereologie, Geologie, Geschichte, Mythos und einem Schuß Kunst. Das Ergebnis ist ein in unterschiedliche Richtungen lesbares Gesamtwerk, an das sich der wissenschaftlich Interessierte genauso andocken kann wie der Grönland-süchtige Fräulein- Smilla-Fan.

Erst einmal sorgen leuchtende Satellitenfotos für die nötige Grundorientierung. Ja, richtig, die Arktis, das ist das große Gebiet rund um den Nordpol, mit Meer und Eis in der Mitte und den Ausläufern von Asien und Nordamerika drumherum. Die Antarktis dagegen ist ein kleiner, größtenteils mit Gletschern bedeckter Klecks Festland, umgeben von Meer. Die Kälte, das Eis, die Polarnacht, die Erzählungen von mutigen Forschern und gescheiterten Expeditionen gibt es hier wie dort, deswegen ist die Ausstellung nicht in eine Nordpol- und eine Südpolhälfte geteilt. Also merke: Sieht man einen Pinguin, ist man am Südpol; schaut man dagegen einem Eisbär in den Rachen, am Nordpol.

Menschen – von frierenden Wissenschaftlern in Forschungsglocken oder in Watte gepackten Touris abgesehen – gibt es auch nur im Norden. Die Völker der Arktis, die wir als Eskimos und Lappen kennen, sind im Laufe ihrer 30.000jährigen Geschichte mit ihren Tieren und Zelten immer wieder quer durch die flachen, weiten Tundralandschaften und über die Eisfelder gewandert und haben in ständigem Kontakt miteinander eine recht homogene Kultur entwickelt.

Die Welt ihrer Traditionen ist eine magische Welt, in der jedes Lebewesen, jedes Ding seine Seele hat: Ohne das Wohlwollen der Geister und den Segen der vielen Götter ist kein Messer, kein Jagdgerät erfolgreich zu gebrauchen. Ihre Kleidung, ihre Lebensgewohnheiten sind perfekt an die harten Bedingungen ihrer kalten Umwelt angepaßt. Eines der schönsten Ausstellungsstücke ist hier ein Wohnzelt, wie es die Nomaden im arktischen Teil Sibiriens heute noch benutzen. Ganz warm und geborgen fühlt man sich in seinem pelzigen Inneren.

Wie armselig dagegen die Ausstattung der tollkühnen weißen Männer, die in Scharen auszogen, die Pole zu erobern. Ein Keks, im Eis hinterlassen für den 1948 verschollenen Sir John Franklin. Robert Scott, der 1910 beim Rennen um die Entdeckung des Südpols gegen Amundsen verlor, mit seinen Ponys, die lange vor ihm kläglich verreckten. Ein russisches Zelt von 1952; die hatten auch noch kein Goretex. Mit einem Schuß Ironie sind sie inszeniert, die Jungsphantasien von Abenteuer und Ruhm. Heroische Bronzebüsten kontrastieren mit Fotos von monstermäßigen Frostbeulenhänden. An anderer Stelle sieht man einen russischen Expeditionsteilnehmer, der sich selbst am Blinddarm operiert.

Und warum das alles? Was will der Mann eigentlich am Südpol? Die Jagd nach den geographischen Polen, so die These der Ausstellung, ist die Jagd nach einem Ziel, das in seiner Virtualität etwas Mystisches bekommt – das ewige Eis als Projektionsfläche transzendentaler Sehnsüchte. Ein bißchen davon ist spürbar in dokumentarischen Fotos von den einzigartigen Lichteffekten der Arktis und Antarktis, von zwanzig verschiedenen Sorten Schnee, von unendlichen Weißflächen, in denen jede Kontur versinkt. Doch vor allem ist es die Kunst, die, in homöopathischen Dosen eingesetzt, die verschiedenen Bereiche der Ausstellung mit der entsprechenden Spiritualität infiziert: Die Skulptur „Schneemann“ – ein Kohlestück mit einem Zeitungsartikel darauf – von Beuys, Aquarelle aus Grönland von Per Kirkeby, eine Collage mit „Seelefant“ von Max Ernst. Und während ein Gemälde wie die „Seeschwalbe“ von Baselitz eher langweilig wirkt neben aufwendigen Videoprojektionen der echten Tiere, ist eine Fotoarbeit wie „A Circle in Alaska“ von Richard Long hier genau richtig: Der Kreis aus Treibholz, den der Künstler in die weite Eislandschaft gelegt hat, ist in seiner meditativen Kraft der besonderen Ausstrahlung dieser Landschaft gewachsen. Die Nachbarschaft der Kunst gibt auch den Objekten der Eskimos einen Hauch ihrer ursprünglichen Magie zurück.

Das Exponat der Ausstellung mit der größten Aura ist schließlich ein Regenmantel aus Robbendarm, der, von innen angestrahlt, geheimnisvoll gelblich leuchtet. Wenn der Schamane ihn trägt, kann er bis zu den Geistern auf dem Grund des kalten Meeres reisen. Elke Buhr

„Arktis–Antarktis“, bis 19. 4., Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn