Sprayer nicht abgeschreckt

■ 240 Verfahren gegen Sprayer hat die Polizei-Sondergruppe Graffiti bereits angestrengt. Verurteilungen gibt es noch nicht – und genauso viele Tags wie zuvor

Die Bremer Polizei geht seit einem halben Jahr verschärft gegen Graffiti-Sprayer vor. Obwohl sich der Druck auf die Szene erhöht hat, ist von einem Rückgang der Sprüh-Aktionen in der Stadt nach Meinung von Insidern nicht viel zu bemerken.

Seit Gründung der Bremer Polizei-Sondergruppe Graffiti am 1. August 1997 ist noch kein Sprayer verurteilt worden. Es laufen aber nach Polizeiangaben schon Verfahren gegen 240 namentlich benannte Straftäter. Die sieben Beamten der Sondergruppe wollen an öffentlichen Gebäuden einen Schaden von schätzungsweise 1,8 Millionen Mark festgestellt haben, der durch „taggen“und „bomben“– das Schreiben des Sprayer-Namens oder das Sprühen großflächiger Wandbilder – entstanden ist. Bei Privateigentum schätzen die Ermittler den Schaden auf drei Millionen Mark. Ob die Schäden zu- oder abnehmen, darüber gibt die Polizei keine Auskunft.

Die Deutsche Bahn AG in Hannover, wo die norddeutschen Züge gereinigt werden, bemerkt nach Angaben der Pressestelle vom Wirken der Bremer Sondergruppe jedoch nichts. Die äußere Reinigung von in Bremen besprühten Zügen habe die Bahn 1997 etwa 200.000 Mark gekostet. Ein Bahn-Sprecher bezweifelte zudem, daß eine Sonderkommission illegales Graffiti stoppen könnte. Das Beispiel Hamburg, wo eine Sonderkommission Graffiti seit Jahren aktiv ist, zeige eher das Gegenteil. Hamburg bleibe das norddeutsche Sorgenkind Nummer eins, was besprühte Züge angeht.

Die Beamten der Bremer Sondergruppe geben über ihre Aktivitäten keine Auskunft, um laufende Ermittlungen nicht zu gefährden. In der Szene bezweifelt man jedoch ebenfalls, daß die Polizei Graffiti verhindern kann. Markus Genesius, auch als WOW 123 bekannt und seit mittlerweile zehn Jahren als legaler „Maler“mit künstlerischer Ambition aktiv, hält die Sondergruppe für vollkommen überflüssig. „Früher, so 1992/93, wurde viel mehr gebombt. Das ist alles zurückgegangen. Guck' dir doch die Züge an, die sind doch fast alle sauber.“Trotzdem glaubt er nicht, daß die Soko sich das als Erfolg an die Fahnen heften kann. „Es wird immer illegal gemalt werden, da hilft auch keine Sonderkommission. Das sieht man doch in Hamburg, Berlin oder Dortmund, wo es sowas schon seit Jahren gibt und wo trotzdem noch illegal gemalt wird.“

Das Geschäft mit den Farben jedenfalls läuft wie gehabt. Falk vom Graffitiladen Corner, der Utensilien wie Sprühdosen, Marker, Magazine und Videos anbietet, hat bisher keine Auswirkungen bemerkt, er verkaufe immer noch genauso viele Dosen wie zuvor.

Für Markus Genesius ist klar, warum so viele seiner MitbürgerInnen negativ über Graffiti urteilen: „Die Leute sehen nur die Tags, die großen Wandbilder sind ja auch meistens in der hintersten Straße versteckt. Außerdem gibt es viel zu wenig legale Malflächen, wo man sich auch tagsüber austoben kann. Wenn es mehr davon gäbe, würde auch der Reiz schwinden, nachts loszuziehen und illegal zu malen“.

Wie die Bremer Justiz mit dem Phänomen Graffiti umgeht, bleibt abzuwarten. Bislang hat es noch keine Gerichtsverhandlungen gegeben. Daß Richter angesichts einer erregten öffentlichen Diskussion möglicherweise unangemessen hart urteilen können, zeigt ein Fall, der in England Schlagzeilen machte. Der 24jährige Sprüher Simon „Fista“Sunderland aus Sheffield wurde 1996 in einem Prozeß wegen Beschriftung öffentlichen Eigentums zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt. Im Revisionsverfahren wurde die Strafe auf drei Monate Haft reduziert, die Fista schon in der Untersuchungshaft abgesessen hatte. Kai Dahme