Die türkische Regierung macht die kurdische Arbeiterpartei PKK für die Massenflucht nach Italien mitverantwortlich. Deren "Menschenhandel" soll den bewaffneten Kampf finanzieren. Nach den Angaben eines PKK-nahen Sprechers sollen bereits min

Die türkische Regierung macht die kurdische Arbeiterpartei PKK für die Massenflucht nach Italien mitverantwortlich. Deren „Menschenhandel“ soll den bewaffneten Kampf finanzieren.

Nach den Angaben eines PKK-nahen Sprechers sollen bereits mindestens drei weitere Schiffe unterwegs sein. Mit jedem neuem Seelenverkäufer verdient die türkische Mafia weitere Millionen

„Für die Kurden führen alle Wege nach Rom“

Der Istanbuler Stadtteil Laleli ist das Zentrum des Kofferhandels mit den geschäftstüchtigen Russen und Rumänen. Kyrillische Buchstaben preisen Lederwaren, Textilien und allerlei Produkte made in Turkey, die in Koffern und Plastiksäcken in Busse geladen werden und dann auf den Märkten in Moskau und Bukarest willige Käufer finden. Im dritten Stock eines Bürohauses hängt das Schild „Sibel Turizm – Flugtickets in alle Welt“. Diesmal hat die Agentur jedoch nicht Flugreisen vermittelt, sondern einen unbequemen und gefährlichen Stehplatz auf dem Schiff namens „Ararat“, einem betagten Frachter, der vor einer Woche mit seinen 835 Passagieren die italienische Küste erreichte.

„Für die Kurden führen alle Wege nach Rom“, titelte gestern die liberale türkische Tageszeitung Yeni Yüzyil. Mindestens drei Schiffe mit insgesamt 5.000 kurdischen Flüchtlingen aus Südostanatolien, dem Irak und Iran seien bereits auf dem Mittelmeer unterwegs, gab Ahmet Yaman, ein Sprecher des politischen Flügels der PKK in Otranto bekannt. Diese genaue Angabe des ERNK-Sprechers ist nicht nur für die türkischen Behörden die Bestätigung der PKK-Connection im jüngsten Flüchtlingsdrama. Die PKK wird beschuldigt, nach schweren Niederlagen in Südostanatolien und im Nordirak, durch ihre Flüchtlingsoperationen die Aufmerksamkeit wieder auf die Lage der Kurden lenken zu wollen – und nicht zuletzt auch große Gewinne mit dem „Menschenhandel“ zu erzielen. Gelder, die sie für ihren bewaffneten Kampf gegen die türkische Armee bitter benötigt.

Fünf Männer warten in den verlassenen Räumen von „Sibel Turizm“ in Laleli. Sie stammen aus dem Nordirak und warten auf einen „Ömer“, dem sie jeder 6.000 Mark für die Überfahrt nach Italien bezahlen wollen. Die Agentur ist jedoch verlassen. 18 andere Männer im Alter von 20 bis 25 Jahren, die am Freitag abend im Istanbuler Hafen Haydarpascha gefaßt wurden, zahlten nur ein Sechstel dieses Preises. Neben dem Herkunftsort Ostanatolien teilen sie auch das Ziel: Almanya.

„Man sagt uns, die Italiener seien großzügig und hilfsbereit“, erzählt einer der Kurden, die mit „Ararat“ kamen, einem Reporter in Otranto. „Hier wollten wir nur einige Tage bleiben. Danach wollten die meisten von uns nach Deutschland oder Frankreich, um dort mit Hilfe der Verwandten eine Arbeit zu finden.“ Man hat ihnen versprochen, sie bis nach Frankreich zu bringen, was auch die Vermutung der bayerischen Behörden bestätigt: Die Schleuserroute führe von Italien nach Frankreich und von dort über den Rhein nach Deutschland.

Beide Flüchtlingsschiffe, die innerhalb der letzten Woche Italien erreichten, wurden erst vor kurzem von Reedern an Unbekannte weiterverkauft. Es sind alte mittelgroße Frachter, schrottreif. Nach Schätzungen zahlten die Organisatoren für den „Ararat“ 150.000 Mark, kassierten aber von den über 800 Flüchtlingen mehr als vier Millionen Mark. Dafür wird der Schrottkahn den Italienern gerne überlassen. An Bord sind die Flüchtlinge in Darica gegangen, einer kleinen Bucht in der Nähe Istanbuls, wo die türkische Mafia „private Anlegestellen“ besitzt. Dort werden auch Drogen und andere illegale Waren geschmuggelt. Nachdem Ankara mit Mahnungen aus den EU-Hauptstädten bombardiert wurde, werden die Häfen strenger kontrolliert. Detektoren, die auf „Lebende Objekte“ Signale aussenden, machen Flüchtlinge ausfindig, die sich in LKWs und Schiffsladeräumen versteckt haben. Die türkische Grenzpolizei will jetzt auch Hubschrauber mit derselben sensiblen Technik ausgestatten. Trotzdem ist die Türkei nicht in der Lage, 8.333 Kilometer Küsten zu bewachen.

Nachdem die Türkei im Dezember von der EU eine Absage in Sachen Vollmitgleidschaft bekommen und daraufhin ihren „politischen Dialog“ mit Brüssel eingestellt hatte, lehnt sie jede grenzüberschreitende Diskussion über die Kurdenfrage ab. Der offizielle Standpunkt Ankaras ist, daß der Exodus nur auf wirtschaftliche Ursachen zurückzuführen sei.

Der jahrelange Ausnahmezustand und die „Umsiedlung“ ganzer Dörfer haben die Infrastruktur völlig zerstört. Der Kampf zwischen der PKK und der Armee sowie das Handelsembargo mit Irak haben die Viehzucht und den Grenzschmuggel – beides traditionelle Einnahmequellen der Bevölkerung – zum Erliegen gebracht. In Provinzstädten wie Diyarbakir und Urfa herrscht Massenarbeitslosigkeit und unter den Flüchtlingen sind viele Männer unter 40. Wirtschaftliche, soziale und politische Faktoren sind als Fluchtursache nicht voneinander zu trennen. Dilek Zaptcioglu, Istanbul