Ein Veteran verweigert die blinde Gefolgschaft

■ Ein Stalingradkämpfer spürt Nazi-Umtrieben nach – bis in den Bonner Verteidigungsausschuß

Berlin (taz) – Diese Geschichte beginnt mit einem Schwur in einem Erdloch vor Stalingrad. Im Oktober 1942 liegt Günter Ettling mit seiner Einheit in der russischen Steppe und schwört: „Wenn ich hier lebend rauskomme, werde ich bei politischen Gefahren nie wieder den Mund halten.“ Ettling hat Glück, bekommt Gelbsucht und wird ausgeflogen. Als einziger von den 192 Soldaten seiner Einheit überlebt er die Kesselschlacht. Der politische Kampf beginnt.

Inzwischen ist Günter Ettling 81 Jahre alt, und daß er dieser Tage in Bonn für Unruhe sorgt, liegt eigentlich an einem Schreibfehler. Im November 1995 verfaßt Ettling einen Brandbrief gegen die Umtriebe von Neonazis im Allgäu. „Diese Neonazis könnten nämlich glauben, in Bonn Rückendeckung zu haben“, schreibt er. „Immer noch tragen 27 Kasernen der Bundeswehr die Namen nazistischer Galionsfiguren, und im Bundestag sitzt der Abgeordnete Kurt Rossmanith, der als Nazi-Fan von sich reden macht.“

Eigentlich wollte Günter Ettling, wie sonst auch, Rossmanith einen „Nazi-Dietl-Fan“ nennen. Denn jahrelang hatte Rossmanith gegen die Umbenennung der Generaloberst-Dietl-Kaserne in Füssen gekämpft, sich also „für einen Nazi-General eingesetzt“. Doch der damals 79jährige Ettling vertippt sich und nennt Rossmanith „Nazi-Fan“.

Kurt Rossmanith, 53, als CSU- Abgeordneter des Wahlkreises Ostallgäu zuletzt mit 60,3 Prozent in den Bundestag gewählt, erstattet Anzeige wegen Beleidigung.

Am 6. August 1996 weist das Landgericht Kempten die Klage zurück. Der Angriff auf die Ehre des Abgeordneten Rossmanith sei keine motivlose Schmähkritik, argumentiert die 2. Strafkammer, sondern eine von Artikel 5 des Grundgesetzes gedeckte Meinungsäußerung. Günter Ettling darf Kurt Rossmanith also weiter einen „Nazi-Fan“ nennen und macht von diesem Recht ausgiebig Gebrauch in zahlreichen weiteren wütenden Briefen.

Zum Politikum wurde die Geschichte schließlich durch die rechtsradikalen Vorgänge in der Bundeswehr. Denn wenn am 14. Januar der Verteidigungsausschuß zusammentritt, um die Vorfälle zu untersuchen, wird Kurt Rossmanith die Sitzung eröffnen – er ist der Ausschußvorsitzende. Zugespitzt ließe sich sagen: Ein „Nazi- Fan“ wird dann oberster Nazi-Sucher der Bundeswehr.

Rossmanith sieht sich einer „Kampagne“ ausgesetzt und plädiert dafür, „das alte Zeug auf sich beruhen zu lassen“. Er werde den Ausschuß „nach bestem Wissen und Gewissen objektiv führen, wie ich das bisher auch gemacht habe“. Von der SPD bekommt Rossmanith Rückendeckung. „Wir prüfen ihn daran, wie er den Ausschuß leitet, und nicht an der falschen Auffassung, die er in der Frage der Dietl-Kaserne eingenommen hat“, sagt Walter Kolbow, der stellvertretende Vorsitzende des Verteidigungsausschusses.

Und Günter Ettling? Der 81jährige hat, getreu seinem damals vor Stalingrad geleisteten Schwur, in den letzten Tagen wieder zahlreiche Briefe geschrieben. „Solange Herr Rossmanith in einem grauenerregenden Nazi-Repräsentanten sein Vorbild sieht, kann er selbstredend niemals die erforderliche Unvoreingenommenheit besitzen, um neonazistische Exzesse in der Bundeswehr zu beurteilen“, schrieb er an SPD-Mann Kolbow. Statt dessen, so Ettling, „wäre es vielmehr angebracht, Rossmanith mit zum Untersuchungsobjekt zu machen“.

Die Dietl-Kaserne ist inzwischen übrigens umbenannt worden und heißt jetzt Allgäu-Kaserne. Das Verteidigungsministerium hatte nach zahlreichen Gutachten befunden, der bisherige Namensgeber enspreche nicht mehr den Maßstäben für traditionsbildende Namensgebung. Ariel Hauptmeier