"Wir sind kein Feigenblatt fürs Regime"

■ Nach dem Streit mit der Türkei droht der EU ein Menschenrechtskonflikt mit Algerien. Der Grüne Daniel Cohn-Bendit, Algerien-Berichterstatter des Europaparlaments, über seinen Versuch, den ausländisc

taz: Im Februar soll eine Delegation des Euroaparlaments unter Ihrer Leitung nach Algerien reisen. Den Segen des algerischen Außenministers Ahmed Attaf haben Sie, allerdings hat er Ihnen auch zu verstehen gegeben, daß er jegliche internationale Untersuchung der Massaker ablehnt. Verkommt Ihre Reise da nicht zum Feigenblatt für die Regierung?

Daniel Cohn-Bendit: Nein, denn ich habe eine ganz klar definierte Aufgabe: eine Stellungnahme des Europaparlaments zum Thema Algerien vorzubereiten. Die ist dann bei den Verhandlungen der Kommission zum Assoziationsvertrag mit Algerien bindend. Ich habe dazu dem außenpolitischen Ausschuß eine dreistufige Strategie vorgeschlagen: Ende November veranstalteten wir eine Anhörung zum Thema Menschenrechte; anschließend luden wir Außenminister Ahmed Attaf ein, um uns seine Sicht der Dinge darzustellen; und als letztes bleibt die Reise nach Algerien.

Was war das Ergebnis der Anhörung?

In Algerien gibt es zum einen islamistische, militärisch organisierte Gruppen, die im Namen der Religion morden. Diese Morde sind eindeutig Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Zum anderen gibt es eine Militärdiktatur mit einer parlamentarisch-demokratischen Basis, die den Terrorismus bekämpft, ohne darauf zu achten, was ein Rechtsstaat ist. Es gibt unzählige Verschwundene, Folter ist an der Tagesordnung.

Wird die Delegation diesen Anschuldigungen vor Ort nachgehen?

Die Delegation wird mit Vertretern aller Parteien im algerischen Parlament sprechen, von der Regierung bis hin zur Linken, aber auch der islamistischen Opposition. Außerdem sind Treffen mit Vertretern der Zivilgesellschaft vorgesehen. Ich glaube nicht, daß ein solcher Besuch einfach als Feigenblatt für das Regime abgehandelt werden kann. Es kann allerdings auch nicht darum gehen, im Vorfeld nur die algerische Regierung verurteilen zu wollen.

Und nach der Reise? Sie haben einmal gesagt: „Wir wollen keine Lektionen erteilen.“ Was wollen Sie dann?

Unsere gesamte Mission ist eine äußerst schwierige diplomatische Angelegenheit. Man sollte nicht vergessen, daß die Algerier – wie die meisten afrikanischen Staaten – sehr empfindlich reagieren, wenn ihnen jemand von außen hineinredet. Genau diese Trumpfkarte spielt Außenminister Attaf immer wieder, wenn er eine internationale Einmischung ablehnt. Darum kann es auch gar nicht gehen. Wir wollen erst einmal bestimmte Dinge herauskriegen und diskutieren. Wie sieht es mit den demokratischen Freiheiten aus? Mit der Unabhängigkeit der Presse? Mit dem Rechtsstaat? Und was für politische Strategien gibt es, um die Krise zu lösen?

Wenn sich bei der Reise all die Menschenrechtsverletzungen bestätigen, von denen Ihnen auf der Anhörung berichtet wurde, werden Sie sich gegen eine Assoziierung aussprechen?

Ich wäre ein schlechter Politiker, wenn ich darauf bereits jetzt antworten würde. Es ist schwierig genug, diese Reise auf den Weg zu bringen. Die großen Fraktionen im Europaparlament bremsen, weil sie Angst vor den politischen Folgen haben. Hinzu kommen die Bremser auf der algerischen Seite. Ich möchte also jetzt nicht diskutieren, „was wäre, wenn“. Die Berichte über Massaker und Menschenrechtsverletzungen sind der Ausgangspunkt. Jetzt gilt es zu arbeiten. Eine grundsätzliche Debatte zum Thema Assoziationsvertrag haben wir geführt, als es um die Türkei ging. Die einen sagten, man muß die Zollunion blockieren, um eine Achtung der Menschenrechte zu erzwingen – und die anderen waren für einen ständigen Dialog mit der Türkei. Beide Argumente haben etwas für sich. Deswegen wird ganz entscheidend sein, wie wir argumentieren und was für Informationen wir mitbringen. Interview: Reiner Wandler