Steinalte Buchen im Nebel

Der größte Buchenwald Europas samt angrenzender Biotope soll zum Nationalpark erklärt werden. Alle Parteien fürchten um Stimmen  ■ Aus Korbach Klaus-Peter Klingelschmitt

Er ist ein Refugium für selten gewordene oder anderswo längst ausgestorbene Arten. Hellgrün sein Laubdach. Am Boden immer duftende Farne und Moose. Maiglöckchen und Waldmeister im Frühling, im Herbst läßt der Aronstab seine feuerroten Früchte auf den Boden fallen. In seinen feuchten Wiesentälern wachsen Knabenkraut und Wollgras. Im Winter liegt ein Raureif auf den kahlen Ästen, und an den uralten Stämmen in den Sumpfgebieten bilden sich bizarre Eisformationen. Dann ist der Kellerwald ein einziges Wintermärchen.

Der Kellerwald im Nordwesten von Hessen ist eines der letzten großen Waldgebiete in Europa. Und er beherbergt in seinen Grenzen aus knorrigen Eichen- und schlanken Birkenwäldern den größen zusammenhängenden Wald aus Buchen auf dem Kontinent. Keine Straße zerschneidet ihn, keine Startbahn teilt ihn. Nicht einmal ein Dorf steht auf der Fläche von 5.700 Hektar. „Naturraum pur“ sei die Region zwischen der alten Hansestadt Korbach und dem Edersee, schwärmt Alexander Müller, Fraktionsvorsitzender der Bündnisgrünen im hessischen Landtag. Er hat den Kellerwald schon oft durchwandert. „Kein Straßenlärm, keine Motorsäge, keine Flugzeuge – überhaupt kein Zivilisationsgeräusch.“ Nur das beruhigende Rauschen des Windes in den mächtigen Buchen sei zu hören.

Ginge es nach Müller und seinen Mitstreiterinnen Ursula Hamann und Dagmar Deutschendorf, wäre der Kellerwald längst ein Nationalpark. Ein Ort der respektvollen Begegnung zwischen Mensch und Natur. „Eine ungebändigte Natur nicht im fernen Kanada, sondern nur zwei Zugstuden von Frankfurt am Main entfernt“, so Müller euphorisch.

Doch im sogenannten Waldhessen wird die Euphorie der Grünen nur bedingt geteilt. Die Bürger der Gemeinden Edertal, Frankenau und Vöhl rund um den Kellerwald haben im Oktober 1997 in Bürgerentscheiden gegen den Nationalpark votiert. Und ausgerechnet eine Allianz aus Menschenschützern, den „Republikanern“ (Reps), aber auch einigen Kommunalpolitikern von SPD, CDU, FDP und Freien Wählern, und Landwirten im Landkreis Waldeck-Frankenberg lieferte ihnen dafür die Argumente.

Die einen prognostizieren einen nicht akzeptablen Zuwachs an gesundheitsschädlichem (Fremden- )Verkehr in der Region, falls der Kellerwald tatsächlich Nationalpark werden sollte. Die anderen halten ihn schlicht für eine „Spinnerei der Grünen“. Die Bauern glauben nach wie vor, daß ihnen nach der Einrichtung eines Nationalparks vorgeschrieben werde, wie sie ihre Felder am Rande des Kellerwaldes zu bewirtschaften und zu düngen hätten.

„Alles Unsinn“, sagt Alexander Müller. Kein Landwirt werde zu irgend etwas gezwungen. Und für die touristische Erschließung könnte eine stillgelegte Bahnstrecke reaktiviert werden. Vorbild für den KellerwaldNationalpark sei schließlich der populäre Nationalpark Bayerischer Wald.

Müller räumt aber auch ein, daß die Befürworter im Vorfeld der Bürgerentscheide „vielleicht zuwenig Aufklärungsarbeit geleistet haben“. Das sieht der Geschäftsführer der CDU im Kreis Waldeck-Frankenberg, Helmuth Hehn, ähnlich. „Da hätte mehr getan werden können und müssen“, sagt Hehn. In einem Punkt seien sich nämlich die meisten Unionisten und Soziademokraten im Kreistag mit den Bündnisgrünen einig: „Die Natur schützen und gleichzeitig den sanften Tourismus entwicken – das ist ein ökologisch und ökonomisch sinnvolles Konzept.“ Doch leider habe der Verein „Bürger gegen den Nationalpark“ im Landkreis für mehr Furore gesorgt als die Befürworter, die sich erst jetzt in einem „Verein für den Nationalpark“ organisiert hätten.

Der erste Vorsitzende von „Bürger gegen den Nationalpark“ ist Willy Müller, ein Landwirt aus der Verbandsgemeinde Edertal. Er zieht schon seit Monaten gegen das Projekt zu Felde. Und es ist ihm gelungen, die Bauern zu mobilisieren. Guter Rat ist teuer im Kreistag von Frankenberg. Heute soll dort eine Entscheidung fallen: für oder gegen den Nationalpark. Ausgerechnet die CDU, die immer gegen plebiszitäre Elemente in der Landesverfassung war, fordert heute Respekt vor der Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger. Doch in der Sache, so betonte Hehn, sei eine Mehrheit in der Fraktion eigentlich für den Nationalpark. In der CDU-Fraktion wird deshalb die Abstimmung freigegeben, ebenso wie bei der SPD. Zur Abstimmung vorliegen wird ein Gegenantrag der Reps. Und wohl ein gemeinsamer Antrag der Kreisregierungsparteien SPD, FDP und Freie Wähler. Ein Kunstwerk, das der Position derer gerecht wird, die das negative Bürgervotum vom Oktober akzeptieren, aber die Tür zum Nationalpark nicht zugeschlagen sehen wollen.

Das klare Bekenntnis der Bündnisgrünen für den Nationalpark ist dagegen im Kreistag nicht mehrheitsfähig – und politisch vielleicht anrüchig. Schließlich ignorieren die Bündnisgrünen das eindeutige Votum der BürgerInnen. Für Müller allerdings ein marginales Problem. Von der Entscheidung betroffen seien eben nicht nur die drei Gemeinden, sondern die gesamte Region Waldhessen.

Der Kellerwald ist zu 100 Prozent Staatsforst. Die hessische Landesregierung und die sie tragenden Parteien – SPD und Bündnisgrüne – könnten auch allein eine Entscheidung für den Nationalpark fällen, sagt Müller. Doch die Landespolitiker der SPD haben ihren Genossen im sogenannten Börnerland, einem (noch) sicheren Mehrheitsterrain für die SPD, versprochen, nichts gegen den Willen der Betroffenen zu beschließen. Vielleicht, sinniert Müller abschließend, könne sich die Landesregierung schon einmal dazu durchringen, den Kellerwald nicht mehr zu bewirtschaften. Und wer könne etwas dagegen haben, wenn der Tourismus in der Region gezielt gefördert werde? Das schaffe auch Arbeitsplätze in einem strukturschwachen Raum. Müller: „Kururlaub in Bad Wildungen mit Wanderung durch den Nationalpark. Dann Platz nehmen in einem Gasthof, in dem die Produkte der Region auf den Tisch kommen. Und vor der Heimreise noch Kunsthandwerk einkaufen.“ Davon profitierten doch schließlich alle. Und im Kellerwald könnten die Buchen endlich steinalt werden.