■ Neue Überlegungen aus der Welt der Unternehmen und Reformprozesse
: Alternativen zum Schmetterling im Management

Schon seit jeher haben Tiere in den modernen Managementtheorien eine gehörige Rolle gespielt; wenn Biologie und Betriebswirtschaftslehre auch sonst nicht viele Überschneidungen haben, in diesem Punkt begegnen sie sich mit hübscher Regelmäßigkeit, und es kommt zur gegenseitigen Befruchtung.

Noch bis vor nicht allzulanger Zeit galt unter Managern die auf Dudley Lynch und Paul Kordis zurückgehende Delphin-Strategie als State of art. Wie das Insider-Magazin Sales Profi in seiner Aprilausgabe 1994 feststellt: „Delphin- Strategien sind nicht nur in den USA in aller Munde.“ Die Frage: „Was können wir, können Sie von den Delphinen lernen?“ wird dort so beantwortet: Das Management, und damit das gesamte Unternehmen, habe sich weder zu verhalten wie der stumpfsinnige Karpfen, der stoisch in seinem Heimatteich vor sich hindümpelt, noch wie der aggressive Hai, der einzelgängerisch und ohne natürliche Feinde die Weltmeere nach Beute durchkämmt.

Statt dessen sei es in hohem Maße angeraten, wie der intelligente Delphin „im Markt“ zu schwimmen und souveränen Gleichmut mit einer intelligenten Vorwärtsstrategie zu verbinden. „Haie und Karpfen sind in ihrem Denken gefangen, sie hinterfragen sich nicht. Delphine schaffen den Durchbruch zu neuen Ufern mit überraschenden Lösungen.“ Denn merke: „Delphine sind keine Gurus und besitzen keine mystischen Fähigkeiten. Ihr qualitativer Vorteil ist, daß sie für alles offen sind, was funktioniert. Die Strategie des Delphins ist ganz einfach eine knallharte Suche nach der optimalen Lösung.“

Das war Mitte der Neunziger, wie gesagt. Gegen Ende der Neunziger mußte man auf einmal überrascht feststellen, daß das Ganze bei Licht besehen ein Riesenunfug ohne jeden Sinn war, weil nämlich Unternehmen und Fische etwas Grundverschiedenes sind, auch wenn Delphine bekanntermaßen überhaupt keine Fische sind. Was nun eintrat, war, daß die Delphin- Theorie abgelöst wurde: Das Management bzw. seine Führungsebene entdeckte die Schmetterling-Theorie.

Dieser in Gottlieb Gunterns Buch „Im Zeichen des Schmetterlings“ niedergelegten Theorie zufolge habe ein Unternehmen, das auf langfristigen Erfolg angelegt sein soll, einen Reformprozeß zu durchschreiten, aus dem es völlig reformiert hervorgeht. Von der ursprünglichen Gestalt ist dann nicht mehr viel zu erkennen, wie... ja, exakt wie bei der häßlichen, kriechenden Raupe, die sich in einen Kokon einspinnt und als wunderschöner, noch dazu flugfähiger Schmetterling erneut zum Vorschein kommt.

Die Unternehmensberaterin Gertrud Höhler faßt den Kern der Schmetterling-Theorie so zusammen: „Symbolisiert im Schmetterling, der für optimale Anpassungsstrategien, maximale Flexibilität, Kreativität und Harmonie mit der Natur steht, gibt Guntern Anregungen für eine neue Führungskultur in Wirtschaft, Staat und Gesellschaft.“

Das klingt alles recht überzeugend, und noch regt sich kaum Widerstand gegen diese universell einsetzbare Theorie. Doch, soviel läßt sich jetzt schon absehen, spätestens wenn die ersten Resultate und Erfahrungsberichte vorliegen und man feststellen wird, daß ein Kokon um Unternehmen, Staat oder gar Gesellschaft den alltäglichen Abläufen nicht in jeder Hinsicht förderlich ist, wird man auch die Schmetterling-Theorie auf den Müllhaufen der Ideologien verbannen. Eine neue Theorie wird an ihre Stelle treten müssen, von der wir noch nicht wissen, wie sie aussehen wird. Wir können hier nur einige Vorüberlegungen anstellen und einige Kandidaten testen. Als erstes hätten wir da...:

Die Dinosaurier-Strategie

Ein Unternehmen, das den Weltmarkt beherrschen will, sollte nach Möglichkeit groß, schwerfällig, behäbig, nicht besonders schlau und wenig anpassungsfähig sein. Wie die Dinosaurier oder IBM kann es so eine Zeitlang unangefochten seine weltweite Vorherrschaft behaupten. Aus naheliegenden Gründen werden der Dinosaurier- Theorie nur geringe Chancen eingeräumt, im nächsten Jahrtausend tonangebend zu sein.

Die Hund-Strategie

Ein Unternehmen muß, wenn es auf dem Markt bestehen will, auf vier Beinen stehen: Umsatz, Rendite, Gewinn und Eigenkapitalverzinsung. Eine lange Zunge sorgt für Kühlung bei heißlaufender Konjunktur. Denn, wie wir wissen: Hunde schwitzen nicht über den Körper, sondern über die Zunge. Der Hund ist der beste Freund des Menschen. Ein aussichtsreicher Kandidat.

Die Nacktschnecke-Strategie

Anders als andere Schneckenarten tragen die Nacktschnecken ihr Haus nicht bei sich. Sie sind Nomaden und immer an Orten mit niedrigen Ertragssteuern und niedrigen Lohnstückkosten zu finden. Der Vorteil der Nacktschnecke liegt in ihrer Anpassungsfähigkeit; allerdings warnt uns diese Theorie auch, daß sich Transformationen im Weltmaßstab nicht „von heute auf morgen“ umsetzen lassen. Eine Alternative dazu böte...

Die Wurm-Strategie

Wenn man einen Regenwurm in der Mitte durchschneidet, sind beide Teile unabhängig voneinander lebensfähig und kriechen in unterschiedliche Richtungen davon. Die Erklärung: Der Wurm gehorcht dem Prinzip der Selbstähnlichkeit. Gleiches soll für Unternehmen, Staat und Gesellschaft gelten; allerdings muß man darauf achten, daß die Teilung quer erfolgt und nicht längs, weil der Wurm sonst stirbt. Andererseits läßt sich selbst ein toter Wurm noch hervorragend als Köder benutzen, um „richtig große Fische“ zu fangen.

Die Qualle-Strategie

Durch abwechselnde Expansion und Kontraktion bewegt sich das Unternehmen im Wasser fort wie die Qualle im Markt. Alle Abläufe sind transparent. Gallert ist die Substanz der Qualle: flexibel und doch formstabil. Wird die Qualle auf den Strand gespült, muß sie sterben. Last, aber keineswegs least:

Die Wolpertinger-Strategie

Sie stellt eine Synthese aus allen bisherigen Theorien dar. In eklektischer Manier vereinigt sie das Positive aller anderen Strategien auf sich. Vielleicht ist sie der aussichtsreichste Kandidat bei der Theoriefindung, weil sie allen Erfordernissen des postmodernen Marktgeschehens Rechnung trägt. Einziger Nachteil: Die Unternehmen der Zukunft werden voll scheiße und albern aussehen. Aber darauf kommt's ja nicht an. Holm Friebe