Switched-on Sushi

Hacken und hacken lassen: Carl Stone unterzieht von japanischen Popstars gesungene deutsche Klassiker einer elektronisch-manipulativen Bearbeitung. Unter anderem! Er selbst sieht sich als „jüdischer Typ, dem es in Kalifornien ganz gut geht“  ■ Von Martin Pesch

Essen Sie gerne asiatisch? Am liebsten japanisch? Gerne auch Köstlichkeiten der thailändischen Küche? Zur Not auch die der chinesischen? Dann ist Carl Stone Ihr Mann! Der in San Francisco lebende Musiker gibt seit einigen Jahren seinen Stücken die Namen seiner liebsten Restaurants. „Ich habe nach einer Art Zufallsprinzip für die Titel meiner Kompositionen gesucht“, erklärt er, „die Namen klingen fremd und exotisch für den größten Teil meines Publikums, sind aber inzwischen zu einem in sich geschlossenen Teil der Arbeit geworden.“

So geschlossen nun auch wieder nicht. Die Vorliebe für Kulinarisches aus Fernost – von Stone aus betrachtet: Fernwest – hat sich zu keinem ausschließenden Vorurteil entwickelt. Manchmal darf es auch ein Steak sein mit Ketchup und Fritten. Deswegen heißt eins seiner zahlreichen Alben auch „Mom's“ – benannt nach Stones damaligem Lieblings-Bar-B-Q.

From here to Karaoke and back again

Seit über zwanzig Jahren arbeitet Carl Stone auf der Grenze zwischen akustischer und elektronischer Musik, seit den achtziger Jahren ist ein Macintosh-Computer sein bevorzugtes Instrument. Er bedient sich in der Musikgeschichte, benutzt selbstaufgenommene Straßengeräusche oder anderes spaßige Material wie koreanische Karaoke-Bänder. Das alles bearbeitet er digital, bis daraus eigene und in vielen Fällen einnehmend klingende Stücke werden.

Weil dieser kompositorische Ansatz – und die für seine Umsetzung verwendete Hard- und Software – erst mal nur das umfaßt, was inzwischen das tägliche Brot (fast) aller musikproduzierenden und -hörenden Menschen ist, wird man fragen: Carl Stone? Eine weitere Ausgrabung eines sogenannten Pioniers der elektronischen Musik? Eine weitere Enthüllung in der Ahnengalerie digitaler Klangerzeugung? Also nur ein Mosaik- Stone?

Es läge nahe, Carl Stone in die allfällige Ausgrabungsgeschichte einzuschreiben, in der versucht wird, Techno (im weitesten Sinne) rückwärts zu erzählen und so zu suggerieren, der kalifornische Musiker sei ein Vorläufer dessen, was im aktuellen Musikgeschehen in irgendeiner Weise avanciert klingt – instrumental, elektronisch, auch tanzbar.

Möglich wäre das. Allerdings hat Carl Stone darauf nicht gewartet. Seine Karriere verlief, obwohl er hierzulande durchaus unbekannt ist, nicht im Versteck. Seine Arbeiten wurden mit Preisen überschüttet, er ist über die Jahre in unendlich viele internationale Kollaborationen verwickelt gewesen, ist ein ständiger Gast auf Avantgarde-Festivals, hat einen Beitrag für das Kulturprogramm der 84er Olympiade geschrieben und 1990 das 60minütige Werk „Made in Hollywood“ für das ZDF produziert – und so weiter.

Man muß ihn nicht wiederentdecken, er war immer da. Und er freut sich auf eine längere Tournee in Deutschland, weil er gehört hat, daß seit einiger Zeit in den hiesigen Studios Produzenten einer jüngeren Generation zu ganz ähnlichen musikalischen Ergebnissen kommen. Da kann er, quasi undercover, mal hineinhorchen, denn dort gilt er nicht als verschollener Vorfahre, sondern ist schlicht ein Nobody: „Aus dieser Szene hat mich noch niemand kontaktiert“, berichtet Stone, „Remixe oder so etwas wollte auch noch keiner machen. Etwas dagegen hätte ich aber nicht.“

Die Bearbeitung der Bearbeitung der ...

Carl Stone hat in den 70er Jahren an der CalArts, der bekannten Kreativschmiede, studiert. Seine Lehrer waren Morton Subotnick und James Tenney, die wiederum an die Errungenschaften von Henry (musique concrète) und Stockhausen anschließen wollten. Sein Studium finanzierte Stone mit seinem Dienst im Tonarchiv der Schule, wo auf 1/4-Inch-Tonbändern die gesamte Musikgeschichte ausgeliehen und wieder zurückgebracht wurde. Bei dieser Kombination ahnt man schon, was dabei hätte herauskommen können, nämlich so etwas wie der Tarrantino des Sounds. Aber nein. Dazu ist Stone viel zu freundlich. Nichts klingt an seinen späteren eigenen Kompositionen verzerrt, nirgends wird das Ursprungsmaterial persifliert. Nur ab und an ist eine leichte Ironie zu spüren, ein Lächeln liegt über den zerhackten und wieder zusammengefügtenn Originalen. „Wissen Sie“, sagt er, angesprochen auf eine eventuelle Ähnlichkeit seines Sample-Ansatzes mit dem im HipHop, „ich bin ein jüdischer Typ, dem es in Kalifornien ganz gut geht.“

Obwohl er in seiner Highschool-Zeit schwerer Rockfan war, greift Stone trotzdem in den meisten Fällen auf die klassische Literatur zurück. In „Ruen Pair“, das er für das Paul Dresher Ensemble geschrieben hat, benutzte er eine Stelle von Mozart, manipulierte sie, integrierte die Manipulation in Mozarts Partitur, ließ es spielen, bearbeitete diese Aufnahme erneut und unterzog diese Aufnahme einer weiteren Bearbeitung in seinem Mac. Erst danach notierte er die für die Aufführung gültige Fassung. Dieses mehrfache Hin und Her zwischen analoger und digitaler Performance, das wiederholte In-Beziehung-Setzen verschiedener Arbeitsphasen sind für Carl Stones Kompositionstechnik charakteristisch.

In seinem Stück „Shing Kee“ (1986) sind diese mehrfachen Grenzüberschreitungen auf die Spitze getrieben. Das musikalische Ausgangsmaterial ist Schumanns „Der Lindenbaum“, gesungen von der Japanerin Shing Kee, die in ihrem Land als Popsängerin recht bekannt ist. Stone greift einen Vers des Liedes heraus, manipuliert ihn so, daß er anfangs nur als anschwellender Klang wahrnehmbar ist und sich während der dann folgenden Viertelstunde realisiert, so daß sich am Ende die Stimme und Schumanns Komposition aus Stones Bearbeitung herausentwickelt haben. Ein 200 Jahre alter deutscher Klassiker, gesungen von einem japanischen Popstar, bearbeitet von einem jüdischen Kalifornier an einem High-Tech-Apparat – hey, transgression as transgression can. Die unterschiedlichen, in dieser Art befindlichen Grenzen sind für Stone als Hintergrund wichtig, müssen aber, wie er betont, „von mir nicht noch einmal verstärkt oder ironisiert werden“.

Johann Sebastian Bach ist Stones liebster Komponist, weil sich bei ihm Magie und Logik in bester Manier zusammenfänden. Der Wunsch danach ist vielen von seinen eigenen Stücken anzumerken. Und deswegen liegt in Stones kompositorischem Ansatz auch eine Nähe zur Minimal Music, wie sie Phil Glass oder Steve Reich definiert haben: durch die allmähliche Veränderung rhythmischer Abläufe die Öffnung einer Komposition erreichen und eine sinnliche Wirkung erzielen, die nicht mehr auf zeitliche und räumliche Koordinaten zurückzubiegen ist.

Die äußeren Schalen der Zwiebel

So wird auch aus den dramatischen Anfangstakten von Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“ in Stones „Hop Ken“ ein hpynotischer Track, dessen Tonschichten gedehnt, gestaucht und ineinander geschoben werden.

In vielen der Kompositionen herrscht diese Dialektik von Komplexität und Einfachheit, als würden sich unter einer leicht klingenden Oberfläche die schwierigsten Probleme verbergen. Technologisch betrachtet ist dies auch so, denn Stone schreibt für jedes seiner Stücke ein eigenes Computerprogramm. Betrachtet man den kulturellen Hintergrund, sieht man, warum Stone eine so starke Affinität zu Asien und insbesondere Japan hat. Seit den achtziger Jahren besucht Stone das Land immer wieder und ist ständig mit japanischen Musikern in Kontakt. „Die japanische Gesellschaft ist sehr kompliziert organisiert“, versucht er seine Faszination zu erklären, „jedes Detail ist von besonderer Bedeutung, und man entdeckt immer verborgene Codes, wie wenn man eine Zwiebel schält.“

Dazu gehört aber noch etwas anderes: „Mich fasziniert auch der Sound Japans, insbesondere die Klänge, die man in Tokio erlebt.“ Sein Stück „Kamiya Bar“ basiert gänzlich auf Aufnahmen, die Stone bei Spaziergängen durch die japanische Hauptstadt gemacht hat. „Aber auch dadurch“, sagt er, „habe ich noch nicht viel mehr verstanden. Ich bin noch immer an einer der äußeren Schalen der Zwiebel. Illusionen, viel weiter zu kommen, mache ich mir nicht. Aer es macht Spaß, es zu versuchen.“ Und diese Versuche klingen so gut, wie die Gerichte schmecken, deren Namen sie tragen.

Tourdaten: 2.12. Ulm, Roxy; 3.12., Nürnberg, Desi; 4.12. Kaiserslautern, Uni; 5.12. Köln, A Musik; 6.12. Düsseldorf, Ego Club; 7.12. Münster, c.u.b.a.; 8.12. Berlin, Anorak