Totensonntag - neuer Glanz für Deutschlands Heldensöhne

■ Auf dem Invalidenfriedhof werden die toten Generale generalüberholt. Aber was geschieht mit den Gräbern der Nazigrössen?

Text: Christian Semler, Fotos: Rolf Zöllner

Erst, zu Zeiten Friedrichs II., sollte es ein Friedhof für die Insassen des Invalidenhauses werden, für die Krüppel, die die Eroberungskriege des „großen“ Preußenkönigs übriggelassen hatten. Daher der ursprüngliche Name: Invalidenfriedhof. Dann, nach dem Sieg über Napoleon, wurde allmählich eine Erinnerungsstätte für hohe Militärs daraus.

Kein Wunder, daß die Nazis planten, an Stelle der 1852 errichteten Gedenksäule eine monumentale Ehrenhalle zu errichten. Der Sicherheitschef und „Reichsprotektor“ über Böhmen und Mähren, Reinhard Heydrich, Opfer eines geglückten Attentats tschechischer Widerständler, wurde auf dem Friedhof ebenso zwischengeparkt wie Fritz Todt, Begründer der Nachschuborganisation gleichen Namens. Aber der Untergang des NS-Regimes verhinderte auch dieses gigantomane Bauprojekt. Die Grabsteine beider Nazigrößen verschwanden, ihre Knochen liegen noch in der Erde.

Die Tochter Todts, Isebill Todt, fordert einen Grabstein für ihren Vater. Große Verlegenheit bei den Behörden. Endet das Verbrechen mit dem Tod? Wenn ein Grabstein, welche Inschrift soll er haben? Sind pädagogische Begleittafeln erforderlich? Oder ist es doch besser, über den Knochen das Gras wachsen zu lassen? Der Entscheid ist erst mal vertagt, bis den Holocaust-Opfern ein Denkmal in Berlin gesetzt ist.

Nach 1961 trennte die Mauer den Friedhof, ihr Bau vernichtete viele Gräber, der Rest verschwand unter der märkischen Vegetation. Die Vereignung beider Friedhofshälften hätte 1990 Gelegenheit geboten, ein Nationaldenkmal besonderer Art zu schaffen: eine Lektion über die Rolle der Gewalt in der deutsch-preußischen Geschichte von 1740 bis 1961. Ein Lehrstück über Todessehnsucht und Todeskult.

Das hätte freilich vorausgesetzt, daß ein Teil des Friedhofs im Zustand des Jahres 1989 erhalten geblieben wäre. Bekanntlich kam's anders. Die Liebhaber des Militärs insbesondere in seiner preußischen Gestalt und die Liebhaber der preußischen Gußeisenkunst trugen vereint den Sieg davon. Es wird fleißig und umfassend restauriert. Schließlich liegt der Friedhof in unmittelbarer Nähe des Spreebogens, und Helmut Kohl höchstselbst war es, der ein Vorwort zu dem Spendenaufruf beisteuerte, den ein Förderverein zur Wiederherstellung der Grabsteine lancierte. Der Friedhof sei, so Kohl ebenso generalisierend wie richtig, „ein Ort der Besinnung und des Nachdenkens über unsere Geschichte“.

Vom neu erwachten deutschen Geschichtsbewußtsein profitierte posthum unter anderem der Kampfflieger Oberst Werner Mölders. 1991 ließ sein Bruder eine Grabplatte für ihn setzen. Alte Kameraden finden sich ein und gedenken der herrlichen Zeiten in den Lüften. Zum Beispiel des April 1937, als Mölders dem Geschwader angehörte, das eine kleine Stadt im Baskenland dem Erdboden gleichmachte. Gedenken oder Nachdenken – that's the question.

Kein Zweifel, der Friedhof birgt eine Reihe großartiger Kunstwerke. Das Grabmal Hans Karl von Winterfeldts findet sich hier, des innigen Freundes Friedrichs II., errichtet anläßlich seines hundertsten Todestages 1857. Ein schaurig-schönes gußeisernes Tropaion samt Siegeszeichen, das die militärischen Taten Winterfeldts rühmt.

Den Ruhm des Friedhofs aber macht das Grabmal des Generals Scharnhorst aus, des Reorganisator der preußischen Armee, Theretikers des Volkskriegs und Lieblingsoffiziers der Realsozialisten. Es entstand nach einem Gesamtentwurf Schinkels und wurde 1834 enthüllt. Ein pfeilererhobener Marmorsarkophag trägt eine Deckplatte, auf der ein monumentaler Löwe ruht? Schläft? Die Herausgeber des Dehio-Kunstdenkmälerbandes Berlin interpretieren: „Das Motiv des Schlafs, über das Sinnbild des Löwen für Tapferkeit und Stärke hinausweisend auf den Frieden“. Wieso den Frieden?

Schinkels Vorbild wirkte so suggestiv, daß noch nach 1918 der Jüdische Frontkämpferverband das Scharnhorst-Monument zum Vorbild für das Gefallenendenkmal auf dem jüdischen Soldatenfriedhof in Berlin-Weißensee nahm. Der (diesmal steinerne) Löwe auf seinem Podest überragt die schnurgerade ausgerichteten Reihen mit ihren uniformen Gräbern, wo, nach dem Jahr ihres Todes geordnet, die Kanoniere und Füsiliere, die vielen, vielen Kriegsfreiwilligen und die wenigen Offiziere und Offiziersanwärter ruhen. Noch nach 1933 ließen sich jüdische Weltkriegsteilnehmer dort beerdigen und nach 1945 haben nur wenige der Familienmitglieder, die den Holocaust überlebten, auf der Entfernung der Gräber ihrer Vorfahren bestanden. Der Invalidenfriedhof und der Ehrenfriedhof in Weißensee – Bausteine der deutschen Katastrophengeschichte.