Kunstschätze füllen die Kriegskassen

Afghanistans Kulturgüter wurden im Bürgerkrieg zerstört oder zur Beute der Kriegsparteien. Diese verkauften sie an ausländische „Sammler“, um den Krieg zu finanzieren. Viele Kunstschätze sind verschwunden  ■ Von Thomas Ruttig

Berlin (taz) – Als besondere Kunstliebhaber kann man Afghanistans Taliban wirklich nicht bezeichnen. In ihrer extrem engen Auslegung des Koran gelten Malerei und Bildhauerei, sogar nichtreligiöse Musik, als Ketzerei – Bildnisse dürfe nur Allah erschaffen, behaupten sie. Noch im Sommer hatte sie gedroht, die aus Felswänden gehauenen kolossalen Buddhastatuen im Mamian-Tal – 53 und 38 Meter hoch – zu zerstören. Sie entstanden lange bevor der Islam nach Afghanistan kam. Schon die Mudschaheddin, die bis 1992 gegen die von Moskau gestützte Regierung kämpften, hatten daran Schießübungen veranstaltet – glücklicherweise ohne größere Schäden zu verursachen.

Um so mehr überraschte es, daß Taliban-Chef Mullah Muhammad Omar Mitte Oktober zusagte, die 2.000jährigen Buddhas schützen zu wollen. Der Islam, sagte er, lehre auch „Toleranz gegenüber anderen Religionen“.

Derartig ermutigt, fuhr darauf der italienische Botschafter in Pakistan, Enrico de Maio, in die afghanische Hauptstadt Kabul. Im Nebenamt Vorsitzender der „Gesellschaft zur Bewahrung des kulturellen Erbes Afghanistans“ (Spach), forderte er die Taliban auf, einen Restaurierungsplan für wichtige Bauwerke vorzulegen und konkrete Projekte zu benennen, für die er ausländische Hilfe besorgen will. „Spach“ wird von Italien, Spanien, Griechenland, den Niederlanden und der Unesco finanziert.

Allerdings sind viele der wertvollsten Stücke bereits verloren, so aus dem einst hervorragend bestückten Kabuler Nationalmuseum im Vorort Dar-ul-Aman. Seine beiden Hauptattraktionen wurden noch 1993 dort gesehen: die kopflose Steinstatue des Königs Kanischka, der um Christi Geburt das mächtige Kuschan-Reich in Nordafghanistan, Mittelasien und Indien beherrschte, und die Inschrift von Surkh Kotal, deren in Stein gemeißelte Zeichen als erstes schriftliches Zeugnis der Sprache Paschtu gelten, der am weitesten verbreiteten im Land. Seitdem ist ihr Verbleib unbekannt.

Viele Kulturgüter fielen dem Krieg zum Opfer. So zerstörten zu Beginn der 80er Jahre Mudschaheddin die vorislamischen Plastiken im Freilandmuseum von Hadda bei Jalalabad. Sowjetische Bombardements richteten im westafghanischen Herat, dessen mittelalterliches Zentrum von der Unesco als Weltkulturerbe eingestuft wurde, unwiederbringlichen Schaden an. Nach der Einnahme der Stadt durch die Taliban wurde weiter geplündert.

Vieles wanderte direkt aus den Museen in die Safes westlicher, japanischer und arabischer „Sammler“. Die Bagram-Miniaturen aus dem Kabuler Museum, erotische Elfenbeinschnitzereien im indischen Stil, sollen laut „Spach“ für 200.000 Pfund Sterling über Islamabad und London nach Nahost gelangt sein. Die gesamte, 35.000 zum Teil einmalige sassanidische und kuschanische Stücke umfassende Münzsammlung des Nationalmuseums fehlt. Aus Handschriften wurden die oft mit Blattgold belegten Miniaturmalereien herausgetrennt. 1994 verschwanden nach mudschaheddin-internen Kämpfen weitere, bis dahin gesicherte Ausstellungstücke des Museums.

Nur etwa ein Drittel seiner Schätze konnte „Spach“ katalogisieren und im einzigen halbwegs sicheren Keller der afghanischen Hauptstadt verwahren, im Hotel „Kabul“, wo sich auch die Nationalbank befindet. Teilweise konnten nur noch Fragmente aus den Trümmern gesiebt werden. Aber selbst aus dem Hotel „Kabul“ heraus betrieb die von den Taliban verjagte Mudschaheddin-Regierung einen schwunghaften Handel mit Kunstschätzen. Bis heute werden einzelne Objekte auf pakistanischen Basaren angeboten. Abbildungen wichtiger Stücke will „Spach“ im Internet verbreiten.

Dafür engagiert sich vor allem die US-Amerikanerin Nancy Hatch Dupree, die von Peschawar aus die Arbeit in- und ausländischer regierungsunabhängiger Organisationen koordiniert. Von ihr stammt auch der letzte Bericht über den wertvollsten archäologischen Fund Afghanistans – die 20.000 Stück des Goldschatzes von Tela Tepe („Goldhügel“), insgesamt zwei Tonnen schwer. Sie waren kurz vor der sowjetischen Invasion vom Moskauer Archäologen Wiktor Sarianidi aus einem Grabhügel am Ufer des Amu-Darya gehoben worden.

Oppositionelle Afghanen beschuldigten später den letzten prosowjetischen Präsidenten Nadschibullah, das „Baktrische Gold“ verscherbelt zu haben. Am 16. April 1992 veranstaltete er in Kabul deshalb eine Sonderausstellung, in der das Gold westlichen Diplomaten vorgeführt wurde. Nadschibullah hatte Ende der 80er Jahre sogar abgelehnt, es zu einer Ausstellung in die UdSSR bringen zu lassen – er befürchtete, die Sowjets könnten Kopien anfertigen und das Original behalten. Daran scheiterte auch eine geplante Ausstellung zur Berliner 750-Jahr- Feier im Osten der Stadt 1987. Seitdem herrscht auch über den Verbleib des Schatzes vom Goldhügel Rätselraten. Als die Mudschaheddin 1992 Nadschibullah stürzten, hatten sie auch das „baktrische Gold“ übernommen, das in sieben Kisten im Keller des Präsidentenpalastes aufbewahrt wurde. Während der folgenden Kämpfe stand der Palast oft leer. Heute behaupten die Taliban, die Kisten befänden sich in ihren Händen. Nur: Gezeigt haben sie sie noch niemandem.