■ Bausteine für eine wahre Kulturgeschichte der Bunzreplik. Die Edgar-Wallace-Filme wagten mutig und konsequent den ästhetischen Entwurf gegen nationale Borniertheit Von Kurt Scheel
: Der schöne gemütliche Schrecken

Elisabeth Flickenschildt, Eddi Arent, Heinz Drache, Margot Trooger und Karin Dor: Darsteller der legendären Edgar-Wallace-Verfilmungen. Auf Kabel 1 sind ihre schauspielerischen Zeugnisse noch bis Ostern wiederzusehen. Die Gesamtschau des ×uvres beweist, daß diese Produktionen viel mehr sind als trashige Niedlichkeiten. Nicht nur Fans bieten sie einen Werkzeugkasten zur Dechiffrierung einer ganzen, quasi-vordemokratischen, doch aufbrüchigen Epoche der bunzdeutschen Geschichte.

In der Geschichte der Bunzreplik ist 1959 ein sog. Satteljahr (Koselleck): Nicht nur kam ich aufs Gymnasium – es ist auch das Jahr, in dem der lange Marsch begann, der aus dem prekären Nachfolgestaat des Dritten Reiches diese freiheitlichste Bunzreplik aller Zeiten gemacht hat, in der man wieder deutsch, aber glücklich sein kann und die weltweit, ja fast global nachahmungswürdig (Goldhagen) bzw. anschlußfähig (Habermas) geworden ist.

Am Beginn dieser Erfolgsgeschichte aber steht – „Frøn“. Das ist Dänisch und heißt „Frosch“. Heutzutage tun sich Genforscher dicke damit, daß sie Frösche ohne Köpfe herstellen können – aber sie wissen nicht, daß schon damals geniale deutsche Köpfe – in internationaler Zusammenarbeit – einen „Frosch mit der Maske“ produziert haben!

Dr. Harald Reinl hieß der Mann, der in Kopenhagen, damals quasi noch feindliches Ausland!, nach Motiven des Romans „The Fellowship of the Frog“ von Edgar Wallace einen Film schuf und damit den Grundstein legte für die erfolgreichste Serie, zu der deutsche Filmkunst sich jemals aufgeschwungen hat. Mehr als dreißig Edgar-Wallace-Filme – rechnet man die nach Romanen seines Sohnes Bryan Edgar und eines weiteren Underlings hinzu: 38 – in neun Jahren!

Dr. Reinl gibt den Anstoß, und mit insgesamt acht Filmen schreibt er sich in die Annalen der Serie ein. 1961 übernimmt Alfred Vohrer mit „Die toten Augen von London“ sozusagen federführend die Fackel und dreht in aufopfernder Weise bis 1968 vierzehn Edgar- Wallace-Filme – ein Ruhmesblatt deutschen Durchhaltevermögens, das bis heute nicht einmal von unserer Fußballnationalmannschaft – „durch Kampf zum Spiel“ – ins Abseits (!) gestellt worden ist.

Dr. Reinl, Vohrer, sie waren die begnadeten Künstler, die Visionen Ausdruck verliehen. Aber waren sie allein? Hatten sie nicht wenigstens, mit Brecht zu fragen, einen Koch dabei?

So wie der geniale Verbrecher die Polizei verhöhnt, indem er seine „Visitenkarte“ am Tatort hinterläßt, so sah das Syndikat, das diese Filme produzierte, keinen Anlaß, im verborgenen zu bleiben. „Rialto Film Preben Philipsen“ stand dreist auf der Leinwand, und für die uninformierte breite Masse war denn auch der dänische Filmmogul Preben Philipsen der Quisling, der Anführer der „Gruppe 59“, des „Kommandos Wallace“. Der wirkliche „Strippenzieher“ war aber schon bald Horst Wendlandt.

Uneitel nennt sich Wendlandt „Produzent“, aber er ist der Pate – von heute aus betrachtet der „capo dei capi“, der auch für die Karl-May- Serie verantwortlich war. Ein Gesinnungstäter, der nie zu Schutzbehauptungen gegriffen hat, er habe „Schlimmeres verhüten wollen“ bzw. „von nichts gewußt“. Auf den raren unscharfen Fotos ist ein etwas dickliches Gesicht zu sehen, hinter dessen Bonhomie nur Eingeweihte zu erkennen vermögen, welche Rolle dieser Mann für die deutsche Film- und Kulturpolitik gespielt hat – und spielt!

Gebt mir neun Jahre! – und Wendlandt bekam sie, aus dem Adenauerdeutschland von 1959 wurde die Bunzreplik von 1968. Jetzt waren Willy Brandt („Mehr Demokratie wagen“) und Alexander Kluge („Abschied von gestern“) am Drücker. Es ergriff eine von der Nazivergangenheit unbefleckte Generation lautstark das Wort, der Muff von tausend Jahren wurde gegeißelt bzw. eingeklagt, Trauerarbeit statt Wirtschaftswunder war nun angesagt, die Studentenbewegung und der Junge Deutsche Film traten aus dem Schatten der Talare und von Papas Kino. Über Nacht entwickelte sich – APO – außerhalb der Parlamente und der Kinos eine politique des auteurs, wie sie die Welt noch nicht gesehen hatte.

Und begonnen hat das alles in diesem unscheinbaren kleinen Jahr 1959 mit dem Rattern eines MGs, einer sich blutrot einfärbenden Leinwand und dieser sonoren Stimme, die „Hállo, hier schpricht Edgar Wolleß“ verkündet und in höllisches Gelächter ausbricht, daß es uns arme Jugendliche im Kino schaudern macht und die Dame deines Herzens neben dir, die sonst recht zickig sein kann und Körperkontakt streng zu limitieren weiß (fünfziger Jahre!), wie ein furchtsames Häschen in deine Arme treibt bzw. dich wie einen reifen Apfel in ihren Schoß fallen läßt...

Im Kinosaal wie auf der Leinwand: der Mann als Beschützer; in der Regel ein Kommissar, der eine Erbin vor den Ränken eines Fälschers, Zinkers, Hexers, eines Buckligen bzw. Gorillas von Soho, einer seltsamen Gräfin oder eines Hundes von Blackwood Castle, vor gelben Narzissen, roten Orchideen, einer blauen Hand oder eine grünen Stecknadel rettet – nicht zu vergessen das sog. katholische Quartett „Der schwarze Abt“, „Der unheimliche Mönch“, „Das Geheimnis der weißen Nonne“, „Der Mönch mit der Peitsche“.

Der Held ist in der Regel Joachim Fuchsberger; als Ersatzkommissar, aber durchaus keine zweite Wahl, tritt Heinz Drache auf: Die schnarrende Forschheit seiner Stimme und der Minimalismus seiner Mimik ergeben eine Art Gesamtkunstwerk, das nicht wenige Aficionados der nonchalanten Eleganz und Jungenhaftigkeit Fuchsbergers vorziehen.

„Blacky“ ist der westlich-amerikanisierte Nachkriegsdeutsche, während Drache gewissermaßen noch mit einem Bein in der (bösen) deutschen Vergangenheit steht, wie ja schon an seiner betongegossenen Frisur zu erkennen ist: Sie hat eine gewisse preußische Strenge, und man glaubt ihr, daß sie auch im Kessel von Stalingrad versucht hat, sauber und ordentlich zu bleiben – gleichzeitig ist sie aber auch eine Hommage an den „Mecki“ der GIs. Nomen est omen: Fuchsberger als der pfiffige Nachfünfundvierziger, Drache als der durch die Reeducation geläuterte Lindwurm.

Bei den Unschulden ist die Lage klarer. Ob Karin Baal mit ihrem augenfälligen Busen, die mysteriös-lockende Barbara Rütting oder Margot Trooger mit ihrem entzückenden Vorbiß: Karin Dor, mit weit aufgerissenen Augen Angst und Schrecken ausdrückend, ja verbreitend, ist die Assoluta der Wallace-Filme.

Wichtiger aber noch als die Figuren im Vordergrund sind die in der zweiten Reihe. Eddi Arent als komische Figur: Assistent des Kommissars oder Butler oder Polizeifotograf, der beim Anblick von Leichen in Ohnmacht fällt und das Vorurteil, die Deutschen seien humorlos, schallend widerlegt. Oder Siegfried Schürenberg als Polizeichef Sir John, dessen Begriffsstutzigkeit nur noch von seiner Lüsternheit und Jovialität übertroffen wird und dessen ansteckendes Lachen mir bis heute im Ohr klingt.

Als irrer Bösewicht der unvergleichliche Klaus Kinski, ein wehes Lächeln umspielt seinen vollen Erdbeermund, denn seine perversen Pläne werden auch diesmal wieder vereitelt, und nie wird er das Ende eines Films erleben bzw. nur als Leiche. Nebenunholde sind Ady Berber als tumber Fleischberg, Stanislav Ledinek als schmierige Kellerassel und Mady Rahl als angegangene Nutte – Namen und Gesichter, wie in Scheiße gehauen.

Und natürlich Elisabeth Flickenschildt, deren Hand in „Die Bande des Schreckens“ in so krallenartiger Weise Rache heischt... La Flickenschildt hatte in dieser ausgemergelten Hand mehr Ausdruckskraft und, ja: deutsche Tiefe als „Weltstars“ wie Marilyn Monroe in ihrem ganzen üppigen, unzüchtigen Körper.

Aber vergessen wir nicht die anderen Tatbeteiligten! Die Kamera, deren Spezialität die Untersicht ist, was eine geradezu hitchcockianische Irritation hervorruft. Oder wenn sie, nur die Schuhe im Bild, den Mörder bei seinem frevelnden Tun verfolgt. Dann, brutaler Schnitt, das Gesicht des Opfers, die aufgerissenen Augen, der blutstockende Schrei – weltweit unerreicht meines Wissens.

Hart ausgeleuchtete nächtliche Parks, riesige Schlagschatten, daß „Der dritte Mann“ neidisch wird, wallender Nebel, wo's nur geht, oder wenigstens quellender Rauch, durch den graziös die Lichtstrahlen tanzen: Auch die Kunst der Beleuchtung wird in diesen Filmen groß geschrieben. Am schönsten aber ist das Glitzern des Wassers (Themse!), das Widerspiel an den Wänden, dieses ewige Flirren von Licht und Schatten, Stirb und Werde...

Schwächen zeigt die Beleuchtung, auch das muß man heute, 30 Jahre „danach“, in diesem größeren Deutschland sagen dürfen, bei Innenaufnahmen und vor allem bei Tageslicht: matt, lustlos, ja wehleidig – in diesem Punkt hat Roman Herzog, schon damals!, recht. Aber nachts geht ein Ruck durchs Team – Wallace at it's best, und da die Filme oft in Grüften, Kellern und Verliesen spielen, ist man aus dem Schneider.

Des Frauenschreis wurde schon gedacht. Akustischer Höhepunkt ist aber für jeden Wallace-Fan der Ruf des Käuzchens, dieses dunkel- lockende „Huu-huu, huu-huu“, wenn verlorene Seelen durch Moor oder Park irren. Die Musik trägt ihr Scherflein bei als klassische Untermalung – gehetzt bei Verfolgungen, unheilweckend, wenn Unheil dräut, humorerweckend, wenn Eddi Arent naht. Verantwortlich dafür sind Martin „Winnetou“ Böttcher und, meistens, Peter Thomas, der in „Das Gasthaus an der Themse“ – Leckerbissen für Hardcorefans – La Flickenschildt das Lied „Von abends bis morgens“ singen läßt.

Schließlich der Plot. Der eh schon undurchsichtigen Romanvorlage wird von wagemutigen, an experimenteller Literatur geschulten Drehbuchautoren der schäbige Rest an Logik und Stringenz ausgetrieben. Aus einem schlichten Wallace-Whodunit wird in der Verfilmung ein selbstreflexiver Diskurs, der die Grenzen des Genres „Krimi“ praktisch dekonstruiert – lange, bevor von de Man überhaupt die Rede war! Es ist zwar nur ein Gerücht, daß gelegentlich erst beim Schneiden die Auflösung festgelegt wurde, aber die Filme sprechen dafür. Es ist daher kein intellektuelles Spiel, wenn man die Wallace-Filme nicht mehr dem längst überholten „Erzählkino“ à la Hollywood zurechnet, sondern sie als Vorläufer des deutschen Autorenfilms ansieht – hinter der Maske des Frosches sind, sozusagen, schon die in der Zirkuskuppel ratlosen Artisten verborgen...

Aber Reinl und Vohrer haben sich nicht nur als Steigbügelhalter des Autorenfilms verdient gemacht – ohne Reinls „Zimmer 13“ wäre beispielsweise Straub/Huillets „Nicht versöhnt“ undenkbar. Die größten Meriten der Wallace- Serie sind im Rückblick wohl darin zu sehen, daß sie der Enge, der Folklore des deutschen Heimatfilms die Liberalität, die Weltoffenheit der englischen civil society entgegensetzten, die sich ja gerade im Umgang mit der dunklen, der verbrecherischen Seite zeigt.

Nicht mehr „Grün ist die Heide“, sondern „Der grüne Bogenschütze“. Big Ben, Bowlerhüte, Dartmoor, Scotland Yard, Linksverkehr – internationales Flair und konsequente Absage an Schwarzwälder Bollenhüte. Hinter der „Tür mit den sieben Schlössern“ und in der „Gruft mit dem Rätselschloß“ verbargen sich als politische Konterbande: Westanbindung und Demokratie. Statt in die „Deutsche Eiche“ zu gehen, „Wenn am Sonntagabend die Dorfmusik spielt“ (1953, von Hans Deppe), besuchte man 1962 lieber „Das Gasthaus an der Themse“.

Als „komisch-gruselig“ bezeichnet das Rowohlt-Filmlexikon die Serie. Richtig: ein Drittel Sex (die Kamera verweilt gerne auf Brüsten und wackelnden Frauenhintern, im „Hexer“ macht die Freundin Fuchsbergers spermanent Anspielungen, daß er weniger vögele als früher), ein Drittel Lachen, ein Drittel Gruseln.

Mehr Comedy als Horror: Das war endlich die klare Absage ans Dritte Reich und die frühe Bunzreplik, und die Wallace-Filme haben zu diesem Mentalitätswandel ehemaliger Volksgenossen viel beigetragen. Wenn sie uns noch immer bezaubern, so wohl auch aus nostalgischen Motiven. Der Hauptgrund aber liegt darin, daß die Wallace-Filme als erste ausdrückten, was bis heute das deutsche Lebensgefühl geblieben ist: gemütlichen Schrecken.

Kurt Scheel, 49 Jahre, ist Mitherausgeber des Merkurs.