■ Nachschlag
: Hartmut Lange über Bertolt Brecht

Brecht 1940 in Finnland, gesehen von Ruth Berlau

Foto: „drive b:“, Arbeitsbuch Theater der Zeit/Brecht Yearbook 23

Im Rahmen der spannenden Vorlesungsreihe der Berliner Festspiele, innerhalb derer sich in der Schaubühne Schriftsteller über Schriftsteller verbreiten, war letzten Sonntag Hartmut Lange an der Reihe. Es ging um Bertolt Brecht, den einstmaligen Fixstern am Firmament des (damals jungen), bis zu seiner Flucht 1965 in der DDR beheimateten Dramatikers und Schriftstellers. Sicher war die Einladung in der stillen Hoffnung auf einen Vatermord erfolgt. Eine Abrechnung fand allerdings statt, aber ohne den üblichen psychologischen Schmäh. Lange attestierte Brecht, daß die Figuren seiner Dramen ausschließlich sozial determiniert seien. Den Deutungshorizont bildete der wissenschaftlichen Sozialismus. Gleich Schiller begriff er die Bühne als moralische Anstalt. Aber im Gegensatz zu Schiller verbannte er die Sehnsucht nach Transzendenz, jede Ahnung von Vergeblichkeit, von Verzeiflung aus der Vorstellungswelt seiner Protagonisten. Er schrieb „Bedenke den Wechsel der Zeiten“, ein Satz, der nach Lange klüger war als sein Autor – habe doch Brecht lediglich auf den historischen Charakter des Kapitalismus gezielt und nicht auf die sozialistische Gesellschaft, von deren gesetzmässiger Ankunft er wissenschaftlich überzeugt war. Brecht war also kein Realist, sondern Didaktiker einer verfehlten Theorie. Es werde sich noch zeigen, ob er in seinen Stücken „genügend Unschärfe übriggelassen hat“, um den Nachgeborenen etwas zu bieten.

Gegen Langes Autodafé ließe sich, auch wenn man der Grundtendenz zustimmt, eine Menge einwenden (etwa Brechts Antiheroismus, sein Beharren auf den „platten“ Bedürfnissen der Menschen, beides mit antistalinscher Pointe). Der Dreh der anschließenden Diskussion mit Sebastian Kleinschmidt (Sinn und Form) und dem Germanisten Frank Hörnigk war nur, daß beide im Kern mit Lange übereinstimmten. Sie gaben nur zu bedenken, daß das Werk vielgestaltiger sei als sein Autor und jede Generation aufs neue etwas Vergnügliches darin finden könnte. Aber das hatte Lange eingeräumt. So blieb dem Publikum, sich an Langes scharfem Witz zu erfreuen, dem Brecht sicher das Ehrenprädikat „plebejisch“ verliehen hätte. Mit Brecht ist Lange fertig, mit dem Brechtischen noch lange nicht. Christian Semler