■ Jede Gewaltszene ist Ausdruck des Kampfes gegen die eigene Entwertung – Thea Bauriedls Beziehungsanalyse
: Das Fremde im Geflecht von Beziehungen

Als „alter 68erin“ ist Thea Bauriedl die Verbindung von Politik und Privatem ein Herzensanliegen, was sich auch im Namen des 1986 von ihr mitgegründeten Münchner „Instituts für politische Psychoanalyse“ niedergeschlagen hat. Anders als die traditionellen PsychoanalytikerInnen stellt Thea Bauriedl nicht den einzelnen Menschen in den Mittelpunkt ihrer Analyse, sondern die Beziehungsstrukturen zwischen den Menschen. Jedes Kind, so führte sie bei ihrem Vortrag in Berlin aus, lerne irgendwann die Beziehungsstruktur „zwei gegen einen“ kennen. Entweder stellten sich beide Eltern gegen das „böse“ Kind, oder ein Elternteil versuche sich mit dem „lieben“ Kind gegen den anderen Elternteil zu verbünden. Dieser frühe Kampf um Ausgrenzung und gegen die Ausgrenzung verbindet sich mit Gefühlen eigener Wertlosigkeit und Überwertigkeit. „Jede Gewaltszene ist Ausdruck des Kampfes gegen die eigene Ausgrenzung, indem man andere ausgrenzt“, so Bauriedl. In der Gewalt gegen „Fremde“ ist immer auch Gewalt gegen sich selbst enthalten: „Das Grundprinzip der Gewalt ist die Entwertung des anderen, was auch immer die Entwertung des eigenen Selbst ist. Wer sich selbst verachtet, verachtet auch andere.“

Solcherart beziehungsanalytisches Denken befreit vom ständigen Moralisieren. Es geht nicht länger darum, daß der Täter böse und das Opfer gut ist, es geht darum, den Täteranteil des Opfers und den Opferanteil des Täters zu erkennen. „Das ist keine Schuldzuweisung an das Opfer oder an Dritte“, stellte Bauriedl ein weitverbreitetes Mißverständnis klar. Gerade bei Folteropfern sei das Phänomen der „Identifikation mit dem Aggressor“ besonders oft zu finden: In ihrer Todesangst versuchen Gefolterte zu überleben, indem sie in ihren Folterern psychisch aufgehen. Es komme also darauf an, „innerlich bei sich zu bleiben und ohne Perspektivenwechsel dem Täter gegenüberzutreten, was oft sehr schwer ist. Das wird leichter, wenn man sich mit dem Täter ,auskennt‘, wenn man begreift, was mit ihm und zwischen ihm und einem selbst passiert. Verstehen in diesem Sinne heißt nicht, einverstanden zu sein.“ Diese Art von dynamischem oder, altmodischer formuliert, dialektischem Denken kann in glücklichen Momenten zementierte Verhältnisse zum Tanzen bringen. Um es in den Worten Thea Bauriedls auszudrücken: „Solange man glaubt, man müsse andere verändern, um das System zu verändern, wird sich nichts ändern. Man kann nur die eigene Beziehung zu anderen Menschen verändern. Nur wer so sein darf, wie er ist, kann sich selbst verändern.“ Ute Scheub