Lager gewählt

■ Die algerische Journalistin Salima Ghezali erhält den Sarachow-Preis für Menschenrechte

Paris (taz) – Das Lächeln von Salima Ghezali entwaffnet alle. Über eine Stunde hat die Handvoll Journalisten auf die algerische Journalistin gewartet. Anfangs hatten sie über ihren Mut gesprochen, zwischen allen algerischen Fronten zu sitzen und trotzdem weiterzuschreiben. Am Ende kam es zu ein paar kleinen gehässigen Bemerkungen: „Die hat wohl vergessen, was eine Deadline ist.“

Hat die Chefredakteurin der algerischen Wochenzeitung La Nation natürlich nicht. Auch wenn ihr Blatt jetzt schon wieder seit über sechs Monaten verboten ist und auch vorher nur unregelmäßig in die Kioske gelangte. Bei einem Essen mit Kollegen war es, wie immer bei franko-algerischen Treffen, zu einer dieser endlosen Diskussionen über Algerien gekommen.

Die 39jährige arbeitet weiter für die 1992 gegründete Zeitung, die den „Reformern“ nahesteht und den Dialog aller Parteien, auch den mit den bewaffneten Islamisten, als einzige Lösung im algerischen Konflikt sieht. Zwar geht sie nicht mehr täglich in das Büro im Stadtzentrum von Algier und produziert auch nicht mehr wöchentlich eine Ausgabe von La Nation, von der sie genau weiß, daß sie nie erscheinen wird. Aber zweimal die Woche hält sie immer noch Redaktionskonferenzen mit ihren fünf – allesamt männlichen und älteren – Kollegen ab. „Wir dürfen den Zusammenhalt nicht aufgeben. Wir müssen jederzeit in der Lage sein, ein Blatt zu machen“, begründet sie. Der Verleger zieht mit und zahlt den Redakteuren vorerst ein Drittel des Lohns. „Journalisten schreiben, um veröffentlicht zu werden“, sagt Salima Ghezali. Da sie das in Algerien gegenwärtig nicht schafft, veröffentlicht sie in Italien, Frankreich und der Schweiz, hält Vorträge und diskutiert mit Menschenrechtsorganisationen, deren Engagement sie mehr Vertrauen schenkt als dem der europäischen und US-amerikanischen Regierungen.

Im Gegensatz zu Hunderten von Kollegen, die in den vergangenen Jahren die Mittelmeerseite gewechselt haben, kehrt Salima Ghezali aber immer zurück. „Ich habe mein Lager gewählt“, sagt sie. „Unser Land ist das einzige, was uns geblieben ist, nachdem der algerische Traum von Stärke und Modernität, vom Japan des Maghreb ausgeträumt ist.“

Seit sie die beiden Töchter aus einer geschiedenen Ehe in Sicherheit brachte, als sie 1994 Chefredakteurin von La Nation wurde, pendelt Salima Ghezali in Algier zwischen drei Wohnungen – „aus Sicherheit“. In den militärisch gesicherten Hotels am Strand, wohin viele Kollegen nach den fast 60 Journalistenmorden der vergangenen Jahre gezogen sind, will sie nicht wohnen. Auch ihr Redaktionsbüro läßt sie nicht überwachen, denn es sei „eine politische Entscheidung, sich von der Armee bewachen zu lassen“. Außerdem ist sie gegen die „selektive Solidarität“ mit Journalisten, während „die ganze Bevölkerung Schutz verdient“. Und schließlich ist da auch noch Gott, der – „wenn er existiert“ – der einzige Schutz sei.

Was Salima Ghezali sonst noch schützen könnte, sind die vielen Preise für ihr Engagement, die sie in den letzten Jahren in den USA und Europa bekommen hat. Den angesehensten von allen wird ihr demnächst das Europaparlament in Straßburg überreichen: Nach Nelson Mandela, Wei Jing Sheng und Aung San Suu Kyi erhält die Zeitungsmacherin ohne real existierende Zeitung im Dezember den Sacharow-Preis für Menschenrechte. Dorothea Hahn