Herzensgruß aus Germany

■ Ein Rundgang durch einige der beteiligten Galerien zeigt: Das Thema heiligt die Mittel beim „Fluchtzeiten“–Projekt / Überraschungen bei Hertz

ine Wanderung durch die Galerie Hertz erinnert derzeit stark an den Besuch im Infoladen einer Flüchtlingsinitiative. „Herzliche Grüße aus Hamburg“steht auf einer Postkarte an der Wand. Erst auf dem zweiten Blick merkt man, daß der Kopf eines Schwarzafrikaners vor das romantisch ausgeleuchtete Panoramabild geklebt wurde. Die Karte ist die erste in Mary Stroux' Postkartenserie „Blind Passengers“, die die hoffnungslose Odyssee von Andrew Jackson erzählt. Andrew taucht noch einige Male in Hamburg auf: In den Hafen geklebt, ans Alsterufer und zwischen der Sternflagge des vereinten Europa. Vergebens. Am Ende wird er abgeschoben. Das letzte Bild der Serie: ein Messer.

So politisch ging es schon lange nicht mehr in Bremens Galerien zu. Bildene Kunst und bürgerliche Hochkultur sind Mangelware, plakative Aussagen haben dafür Konjunktur. Der größte Blickfang in der Galerie Hertz ist eine Dokumentation des Flüchtligsrates Niedersachsen. Dort sind empörende, verdeckt gemachte Aufnahmen zu sehen – etwa der entwürdigende Polizeiblick in den After eines Flüchtlings. Was hat das mit Kunst zu tun? Nichts, meint Galerist Cornelius Hertz. „Aber bei uns gibt es auch oft Kunst zu sehen, die überhaupt nicht politisch ist. Und bei diesem Thema braucht man die Politik und den Blick auf die Realität.“

An der Vorgabe hat sich auch Achim Göbel bei seiner galgenhumorigen Rauminstallation orientiert: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“steht auf den Ballons, die jeden Tag ein bißchen mehr Luft verlieren, bis am Ende nichts mehr von den aufgeblasenen Parolen übrig bleibt.

Überall merkt man der Ausstellung im Rahmen des Projekts Fluchtzeiten das Bemühen an, daß hier keine abgehobenen Schöngeister den armen Opfern ihre Kunst überstülpen wollen. Besonders einfühlsam wirkt die Rauminstallation „Leicht flüchtig“von Martina Schade. Im Eingangsraum der Galerie liegt ein schwerer, zimtiger Geruch von Cassia in der Luft. Weitere Düfte in Plastiksäckchen verpackt, einige wurden an bestimmte Stellen an die Wand gesprüht.

„Ich habe mich gefragt: ,Was bringen die Leute denn so mit?'“erklärt die Künstlerin. „Erinnerungen eben. Also versuche ich, mit den Gerüchen Assoziationen zu wecken“– Gerüche, die vorher befragte Flüchtlinge mit ihrer Heimat verbinden.

Selbstbewußt haben Flüchtlinge auch mit eigenen Werken die Räume besetzt. Von den meist in schwarz/weiß gehaltenen Ölmalereien des Togoers James Amen Atayi sagt etwa Galerieinhaber Hertz: „Ich wußte vorher gar nicht, was er macht.“Jetzt aber ist Hertz von Atayi begeistert, obwohl an dessen Figuren einiges verrutscht ist. Nicht das Gesicht, sondern der Bauch der Gestalten ist der Ort, an dem sich Emotionen ablesen lassen. Mal erkennt man am Rumpf angespanntes Bauchgrimmen, mal Gelächter. „Atayi hat mir erzählt, daß bei ihm der Körper denkt, nicht der Kopf,“erklärt Galerist Hertz.

Hertz's Überraschungsgast Nummer Zwei, der Kurde Ali Zülfikar Dogan, hat auf dem Flüchtlingsschiff Embrica Marcel gewohnt und gemalt. Sich selbst hat der Kurde auf einen Stuhl gefesselt und mit einem Reißverschluß als Mund gemalt – Symbolismus mit dem Holzhammer. Dafür haben die Bewohner des Flüchtlingsschiffes erstritten, daß seine Bilder auf der Embrica Marcel selbst ausgestellt wurden. Und deswegen gehört auch dieses Stück Flüchtlingskultur in die Galerie.

Auch im Schlachthofturm stellen Flüchtlinge aus. An eine Wand etwa sind acht Gefrierbeutel mit Muttererde genagelt. „1/2 Kilo Gemeinsamkeit“hat der Bosnier Predag Tapavicki auf einen geschrieben – mehr braucht es nicht, um die gemeinsame Sehnsucht zweier Flüchtlinge zu wecken.

Auch hier gilt: Die besten Exponate sind die, die nah am wirklichen Leben bleiben. Michael Meyers Videoinstallation „Standort flexibel“dokumentiert seine aktionskünstlerischen Versuche, in Bremen im Einmannzelt unter Fluchtbedingungen zu leben. Doch nirgends, weder vor dem Einkaufszentrum, noch im Park gibt es Ruhe oder Verständnis. Fernseher, Bierflasche und Reisekataloge hat ein anderer deutscher Künstler schwarz-rot-gold verziert. Neben diesen federleichten Ideen wirken die Ölbilder mit hochtrabenden Titeln im Schlachthofturm gestelzt bis selbstdarstellerisch.

Am Donnerstag sind aber unterschiedslos alle Stücke zum letzten Mal zu sehen. Zur Ausstellungshalbzeit wird die Schlachthofgalerie neu bestückt. „Anders können wir den vielen, die auststellen wollen, nicht gerecht werden,“sagt Werner Kuhrmann vom Schlachthof.

Ausgenommen davon ist ein Kunstwerk, daß gar nicht erst Wirklichkeit wurde. Ronald P. Runges „Abschiebe-Luftbrücke“aus Gehwegplatten, die er meterhoch am Flughafen aufbauen wollte, wurde von der dortigen Verwaltung verboten. Also entstand das Werk nur als Computergraphik, die in Fotos hinein kopiert wurde. Statt der geplanten Projekt-Dokumentation hängt nun das virtuelle Kunstwerk selbst für die nächsten Wochen in der Schlachthofkneipe.

Lars Reppesgaard

Ausstellungen in der Galerie Cornelius Hertz, im Schlachthof, im Cafe Blau, im Übersee-Museum, in der Kulturwerkstatt West-end, im Kulturzentrum Kohlenstraße, in der Galerie WiSie, im Kulturzentrum Lagerhaus sowie in der Galerie Pro art