Das Lächeln der Katharina Sieverding

Plastiktüten wehen über die Straße, Hallen brummen bis zum Feedback – das High-Tech-Imaginäre sieht anders als zur IFA aus. Berlin präsentiert sich beim „grenzenlos“-Festival in Istanbul mit Fotografie und anderer Medienkunst  ■ Von Harald Fricke

Im fünften Stock des Atatürk- Kulturzentrums, einem Betonblock mitten in der City von Istanbul, stehen sich zwei Apple-Monitore gegenüber. Rasch wechseln auf beiden Bildschirmen Sätze wie „Meine Mutter sagte, daß Mike Kelley nicht einmal einen geraden Strich ziehen konnte“ oder „Haben Sie schon gehört, daß Kunst sich auf sich selbst bezieht?“.

Adib Fricke hat für die Installation „Das Lächeln des Leonardo da Vinci“ Statements aus dem Kunstbetrieb eingegeben, die nun per Zufallsgenerator aufeinander losgelassen werden. Unten am Bosporus, in den ehemaligen Pferdeställen des Dolmabahce-Palasts, kann man über zwei weitere Geräte in die „Großen Archive“ von Arnold Dreyblatt eindringen, während bei einer dritten Computerarbeit das Programm dafür sorgt, das der herumfluchende Mann im Video von Gustáv Hámos verschwindet, wenn man nach einem verkabelten Hammer greift.

Für eine Auseinandersetzung mit Medien kommt die von René Block und Angelika Stepken organisierte Ausstellung „In Medias Res“ mit erstaunlich wenig Rechnern aus. Selbst die Videoarbeiten sind zurückhaltend zwischen Fotowände, Klangkörper und Diaprojektionen gesetzt. Offenbar geht es um die Vielfalt im Bereich der technischen Bilder – nicht gerade eine Spezialität aus der Malerfürstenstadt Berlin, wo man die Videoarbeiten der „Deutschlandbilder“ im Keller des Martin-Gropius-Baus abgestellt hat.

Nichts davon in Istanbul. Als Beitrag zum diesjährigen „grenzenlos“-Festival, das Berlin und seine türkische Partnerstadt kulturell stärker aneinander binden soll, sieht man in der Medienkunst ein „pluralistisches Feld“, mit dem sich die Veränderungen seit 1989 am besten dokumentieren lassen – weniger „Mauer“-Expressionismus, mehr internationales Ausstellungswesen. Kultursenator Peter Radunski (CDU) sprach zur Eröffnung davon, daß die Zeit der Kämpfe vorbei ist und man sich jetzt in der Kunst auf den „Wettbewerb“ konzentrieren müsse. Das Istanbuler Publikum nahm die Rede betreten hin: Zeitgenössische Kunst wird von der islamischen Stadtregierung nur aus der Distanz geduldet. Die Unterstützung für „grenzenlos“ kommt von einer Initiative privater Galerien. Umgekehrt hat man für den Gegenbesuch in Berlin Vorkehrungen getroffen. Wenn Istanbul nächstes Jahr mit Kunst nach Berlin kommt, möchte man mit mehreren Kuratoren arbeiten. International, versteht sich.

Die 43 Berliner KünstlerInnen, die Stepken und Block für „In Medias Res“ ausgesucht haben, beschäftigt vor allem die Unschärferelation zwischen den Dingen und ihrer medialen Vermittelung. Bei Jörg Herold huschen Häuserwände wie Tarnfilm über einen Holzschuber, und das Video von Svetlana & Igor Kopistiansky zeigt verlorene Plastiktüten, die der Wind unruhig vom Gehweg auf die Straße treibt. Sieht so das High-Tech-Imaginäre aus?

Die Skepsis vor der Macht des Mediums geht beim Künstlerduo (e.) Twin Gabriel so weit, daß sie die hübsch gekachelte Galerie, die ihnen im luxuriösen Macka-Viertel extra zur Verfügung gestellt wurde, leer stehen lassen. Statt dessen ringelt sich ein Wollfaden auf einem Baldachin unter der Decke lang und wirft Schatten. Im hinteren Raum kann man auf sechs Videomonitoren zusehen, wie ein Geschirrtuch allmählich von einer Waschmaschine rutscht. „Falten und Fallen“ ist ein Schnappschuß aus dem Alltag, „für andere Sachen ist die IFA da oder die MacWorld“, so der Künstlerkommentar zum No-Budget-Video.

Tatsächlich dienen die Medien, mit denen Berlin in Istanbul arbeitet, als Träger von Ideen oder als deren Verstärker. Mitunter liegt diese Art von Übertragung in der Natur der Sache, etwa bei dem halben Dutzend Klanginstallationen, das in der Stallung knapp unterhalb der Feedbackgrenze brummt. Selbst Zeichnungen passen zum Thema: Eva Maria Schöns Fingerspuren wirken neben vergrößerten Planktonfotografien täuschend echt; und Heinz Emigholz hat serienweise Bilder mit rebusartigen Rätseln aufgehängt, die komplizierte Psychogrammatik und Nebensächlichkeiten verbinden.

Der Rest ist Fotografie – bunt, schwarzweiß, dokumentarisch. Dort liegen die Schwächen der Ausstellung. Elfi Fröhlichs Vergrößerung eines Holbein-Gemäldes, an dem die Farbe absplittert, soll mit Narben im Fleisch von Auschwitz-Deportierten korrespondieren, weil beide Motive „für ein Extrem deutscher Vergangenheit“ stehen – das Foto macht's eben möglich. Ähnlich haben sich Nan Goldins Porträts eines Aidskranken und Gundula Schulze el Dowys Aufnahmen mumifizierter Könige aus Ägypten absolut nichts zu sagen, es sei denn, sie sollten sich in der Kombination aufheben.

Völlig triebhaft springen einen dagegen die Selbstporträts von Katharina Sieverding an, vor deren überdimensionalem Konterfei türkische Männer bei der Vernissage von Madonna schwärmten. Durch die weite Fensterfront sieht man Frau Sieverding noch vom Bosporus aus lächeln, wenn man mit der Fähre vorbeifährt. Vermutlich wird sich der Bürgermeister von der islamischen Wohlfahrtspartei über diese Geste ärgern. Abhängen wird man die Fotos nicht, das verbieten schon die Regeln der Gastfreundschaft.

Bis 12.10., Istanbul