Kurt Scheels Lichtspiele
: Wie ich wurde, der ich bin

■ Flutlichtkatastrophe? Pah! Glanz und Elend eines Kinokerls (1962–1967)

Was gut ist für Helmut Schmidt, ist noch lange nicht gut für die „Altenwerder Lichtspiele“, die große Sturmflut 1962 nämlich.

Während Schmidt als Hamburger Innensenator durch verschärfte Kompetenz und hubschraubermäßige Allgegenwart auch bundespolitisch auf sich aufmerksam machte, führte die „Flutlichtkatastrophe“, wie sie bald im Dorf genannt wurde, zu regelrechten Planierungen der Arbeitersiedlungen des Umlandes: Prolos sind gute Kinogeher (man könnte sogar sagen: gute Kinogeher sind Prolos), und die wurden nun umgesiedelt.

Ich lernte vorführen. Pünktlich um acht wird der Saal halb verdunkelt, der Vorhang aus blauer Fallschirmseide öffnet sich, kurze Diawerbung – jetzt zünde ich die Bogenlampen der rechten Maschine, drehe die Handkurbel, drücke den Startknopf, Saallicht aus, Fensterklappe auf – und schön wie am ersten Tag wiederholt sich das Wunder, flimmern die Bilder auf der Leinwand.

Nun mache ich die linke Maschine klar, dort startet der Hauptfilm. Er ist in Cinemascope, weshalb ich einen Anamorphoten (eine Entzerrungslinse) installiere. Gleich sind die Trailer vorbei, ich ziehe die schwarze Samtabdeckung, die die Leinwand seitlich begrenzt, per Handkurbel auf – der Film ist ja in Breitwand –, Maschine zwei anschmeißen – überblenden: perfekt!

Es ist jetzt zwanzig nach acht, meine Mutter, die die Kasse gemacht hat, geht nach Hause. Nur vierzehn Besucher! Und die zwei Klassenkameraden, die im Vorführraum herumlungern, haben naturgemäß keinen Eintritt gezahlt, gieren aber nach einer weiteren Granate Astra- Bier. Meinetwegen – aber ich, mit stählerner Willenskraft, halte mich zurück: Der Projektionist muß immer auf der Wacht sein.

Ich bin aber nicht nur der Vorführer, sondern eigentlich „de Kinokerl“: Mein Vater arbeitet seit einiger Zeit als Elektriker und macht das Kino nebenher.

Also ist es an mir, die Filme, die per Schiff aus Hamburg geliefert werden, an der Altenwerder Anlegestelle abzuholen, sie zu meinem Moped (Zündapp KS 50 Super) zu schleppen und im Kino fertigzumachen. Wochenschau und Kulturfilm gibt es schon lange nicht mehr, aber die paar Werbefilme und Trailer werden zusammengeklebt und kommen auf eine Spule, damit man nicht soviel umschalten muß.

Um zehn ist die Vorstellung aus – will noch wer ein Astra? War eigentlich ein schöner Abend; wenn bloß nicht so wenige Besucher gekommen wären! Und dann gibt es die „last picture show“, am 25. Juni 1967, dreißig Jahre ist das jetzt her! Ich war damals eher erleichtert als traurig, so ein kleines, vor sich hin kränkelndes Geschäft, das ist auf Dauer auch ziemlich demütigend. Erst viel später ist mir klargeworden, daß ich mit den „Altenwerder Lichtspielen“ mein Paradies verloren hatte. Aber wenn ich es hier beschwöre und die Augen schließe, sehe ich es ganz deutlich vor mir und weiß, daß ich immer „de Kinokerl“ bleiben werde. Kurt Scheel