Hutschenreuther zerbricht in Scherben

■ Die traditionsreiche Porzellanfirma ist ein Opfer der Maueröffnung. Jetzt macht sie ihr Hauptwerk in Selb dicht

Berlin (taz) – Hutschenreuther macht sein Hauptwerk im nordbayrischen Selb dicht. Ausgerechnet an ihrem Stammsitz, wo auch Konkurrent Rosenthal ansässig ist, wird die traditionsreiche Porzellanfirma 480 Angestellte auf die Straße setzen – überwiegend Frauen. „Ich bin mir sehr wohl bewußt“, sagte Vorstandschef Hans Beckmann gestern auf der Hauptversammlung in München, „daß diese Entwicklung sehr depremierend für die Region ist.“ In der 20.000-Seelen-Gemeinde Selb produziert Hutschenreuther Haushaltsporzellan.

Erst im Februar mußte einer der Großaktionäre Hutschenreuthers, die Deutsche Bank, auf einen Teil seiner Forderungen verzichten, um die Firma vor dem Aus zu retten. Nun will der Vorstand bis Ende 1998 insgesamt 630 Stellen einsparen. Teile der verbliebenen Produktion sollen ins Ausland verlagert werden. Damit geht der Personalabbau ungebremst weiter: In den vergangenen fünf Jahren sind von den ehemals 5.900 Beschäftigten nur noch gut die Hälfte übriggeblieben: rund 3.300 waren es Ende 1996. Doch die immensen Verluste lassen der Porzellanfirma keine Wahl: Allein im ersten Halbjahr 1997 sammelten sich neun Millionen Mark Miese an, 1996 waren es sogar 26 Millionen.

Dabei war Hutschenreuther zu seinem 175jährigen Jubiläum 1989 noch eine blühende Firma, mit gesunden 11,6 Millionen Mark Gewinn vor Steuern. Doch die Porzellanindustrie wurde zu einem der Verlierer des Mauerfalls. Seitdem drängen Anbieter aus Polen, Tschechien und Rumänien mit deutlich günstigeren Tellern und Schüsseln auf den deutschen und westeuropäischen Markt. In den letzten fünf Jahren gingen so der deutschen Porzellanindustrie, die sich ums Fichtelgebirge in Nordbayern ballt, ein Drittel des Umsatzes und ein Drittel der über 21.000 Arbeitsplätze verloren.

Das spürte auch Hutschenreuther. 1994 konnte das Unternehmen erstmals nach dem Krieg keine Dividende auszahlen, im Jahr darauf hatten sich schon 20 Millionen Mark Verlust angesammelt. Fünf von neun Werken mußten verkauft oder geschlossen werden, nun kommt Selb dazu.

Vor allem die Haushaltssparte macht der Firma Kopfzerbrechen. Die Sparte Gastronomie, die Geschirr für Luxushotels herstellt, und die Sparte Technische Produkte, die Know-how und Rohstoffe verkauft, sind Beckmann zufolge europaweit Marktführer. Um diese nicht zu gefährden, soll die Haushaltssparte als Hutschenreuther-Wohnen GmbH mit 1.000 Beschäftigten ausgegliedert werden. Nach Schließung des Werks in Selb und weiterer Rationalisierung bleiben dann Ende 1998 noch 370 übrig. Matthias Urbach