Schön war die Zeitung

Nur die Japaner lesen mehr Zeitung: Doch auch in der Schweiz melden die großen Verlage schmalere Gewinne, während die kleinen Zeitungen ums Überleben kämpfen  ■ Von Klaus Bonanomi

Wenn Roger de Weck im September seinen neuen Job als Chefredakteur der Hamburger Zeit antritt, tut er dies als Hoffnungsträger. „Gebraucht wird, da sind sich Redaktion und Verlag einig, ein journalistischer Manager. Einer wie Roger de Weck eben. Er soll Die Zeit ökonomisch und journalistisch sanieren – und das Objekt wieder rentabel machen“, urteilte unlängst der Spiegel – dabei ist zweifelhaft, ob de Weck dafür der richtige Mann ist.

Als Chefredakteur des Zürcher Tages-Anzeigers hat der Bankierssohn das Blatt weder ökonomisch noch journalistisch saniert. Der einst klar links der Mitte positionierte Tages-Anzeiger segelt nun auf einem neoliberalen Kurs; die Abo-Zahlen und die Anzeigenerlöse stagnieren. De Weck schuf rund 40 neue Stellen auf der Redaktion, führte einen fünftes und sechstes Zeitungsbuch ein, erweiterte das redaktionelle Angebot von 9.000 auf 13.000 Seiten pro Jahr, um sein Blatt zur wichtigsten nationalen Stimme zu machen – doch das Ziel wurde nicht erreicht: Die Auflage von 280.000 wird weiterhin vor allem im „Millionen-Zürich“ abgesetzt, also in einem Einzugsgebiet von rund einer Million Menschen.

Als erstes wird das Abo gestrichen

In Bern, Basel oder Luzern konnte de Wecks Blatt der örtlichen Konkurrenz kaum Leser abjagen. Und das Mutterhaus des Tages-Anzeigers, die TA-Media AG, die auch die erfolgreiche Sonntags-Zeitung, das neue Nachrichtenmagazin Facts und die edle Kulturzeitschrift Du herausgibt, wies nach 30 Millionen Franken im Jahr 1995, für 1996 gerade noch 12 Millionen Franken Gewinn aus.

Mit diesen Problemen ist das Haus Tages-Anzeiger nicht allein. Die Abschlüsse der anderen Schweizer Verlage, die in den letzten Wochen vorgelegt wurden, sehen alle recht erbärmlich aus. Beim Branchenleader Ringier (Blick, Schweizer Illustrierte, Cash) sank der Umsatz um sieben und der Gewinn um neun Prozent; bei Edipresse, dem führenden Verlagshaus der Suisse romande, ging der Gewinn um ein Fünftel zurück (allerdings auf immer noch respektable 36 Millionen); und auch die grundsolide Neue Zürcher Zeitung mußte ihren Aktionären drei Prozent weniger Umsatz und 22 Prozent weniger Gewinn beichten. Immerhin konnte die NZZ als eine der wenigen Tageszeitungen noch eine (minimale) Auflagensteigerung verbuchen. Die Auflagen der übrigen Blätter stagnieren – wenn auch auf hohem Niveau: Weltweit werden nur in Japan mehr Zeitungen pro Kopf der Bevölkerung abgesetzt. Mit 365 verkauften Zeitungen pro 1.000 Einwohner liegt die Schweiz deutlich vor Deutschland (314), Großbritannien (317), Frankreich (156), Italien (108) oder den USA (226).

Doch die fetten Jahre für die Schweizer Zeitungsmacher sind vorbei. Sieben Jahre Wirtschaftskrise ließen die Arbeitslosigkeit in ungeahnte Höhen schnellen – von 25.000 Arbeitslosen (1991) auf heute über 200.000. Die Arbeitgeber kürzen die Löhne, und auch der Staat spart an allen Ecken und Enden. Die Folge: Auch die privaten Haushalte streichen ihre Ausgaben zusammen, wo immer es geht. Und da muß oftmals das Zeitungs-Abo dran glauben.

Presse-Eintopf für die Innerschweiz

Nirgends läßt sich die Krise im Tageszeitungsmarkt so gut aufzeigen wie am Beispiel der Innerschweiz: 1990 erschienen in Luzern noch drei Tageszeitungen; unterdessen sind das katholisch-konservative Vaterland, das freisinnige Tagblatt und die liberalen Luzerner Neusten Nachrichten zur Neuen Luzerner Zeitung fusioniert worden, mit 130.000 Auflage die fünftgrößte Schweizer Tageszeitung. Nun zeigt sich, daß sogar das Innerschweizer Monopolblatt in einem Einzugsgebiet von 650.000 Menschen Mühe hat, die zum Überleben benötigten Inserate zu bekommen. Die Folge: Zwölf Stellen wurden kürzlich gestrichen. Und die kleine, links-alternative Konkurrenzzeitung Luzern Heute, die als Antwort auf die Großfusion gegründet wurde, erscheint künftig nur noch einmal die Woche. Auch im Kanton Aargau – mit 520.000 Einwohnern der viertgrößte Schweizer Kanton – wird nur mehr Presse-Eintopf aufgetischt, nachdem die beiden Tageszeitungen im Kanton aus wirtschaftlichen Gründen fusionierten. Und in der französischsprachigen Suisse romande ist die Fusion der beiden führenden Tageszeitungen beschlossene Sache: Dieser Tage wurde offiziell bestätigt, daß der Nouveau Quotidien, mehrheitlich im Besitz des dominierenden Edipresse-Verlages, mit dem Genfer Journal de Genève zusammengelegt wird, welches mehrheitlich im Besitz von Industriellen und Bankiers ist. Beide Zeitungen sind für sich allein mit Auflagen zwischen 30.000 und 40.000 zu klein zum Überleben.

Die sieben mageren Jahre haben nicht nur viele kleinere Zeitungen an den Rand des Ruins oder in die Arme eines mächtigeren Konkurrenten getrieben, sondern machen auch den Großverlagen zu schaffen. Die meistverkaufte Schweizer Zeitung, das Boulevardblatt Blick, versuchte mit zwei Chefredakteurswechseln innerhalb Jahresfrist, den Sinkflug zu stoppen – bisher ohne Erfolg. Auch Wolfram Meister, der im Frühjahr vom Zeit-Magazin auf den Blick-Chefsessel wechselte, hat das Rezept noch nicht gefunden, und die Auflage von einstmals fast 400.000 nähert sich bedrohlich der 300.000-Grenze. Nach dem abrupten Abgang von Steuermann de Weck überlegt man sich beim Tages-Anzeiger nun allen Ernstes, den umtriebigen PR-Mann Iwan Rickenbacher als Chefredakteur einzusetzen.

„Tages-Anzeiger“ kurz vor dem Relaunch

Der war zwar zeitlebens noch nie Journalist, kennt aber als ehemaliger Politfunktionär das Berner Bundeshaus recht gut und wurde deshalb vor Jahresfrist bereits in den Verwaltungsrat der TA-Media AG geholt. Und mit einem kostspieligen Relaunch mit viel Farbe und viel Design tritt der Tages-Anzeiger in einigen Wochen zur großen Flucht nach vorne an.

In den letzten Jahren haben Radio- und Fernsehwerbung auf Kosten der Printmedien deutlich zugelegt; das Schweizer Fernsehen, dessen Werbeblöcke zumeist ausgebucht sind, startet im Herbst seinen zweiten Kanal, und auch die deutschen Privatsender wie Sat.1 oder RTL ziehen mit ihren Schweizer Werbefenstern inzwischen Dutzende von Millionen Werbefranken ab.