„Mit dem Kirchenasyl machen wir weiter“

■ Der Anschlag von Lübeck galt der Arbeit von Pastor Harig. Doch er läßt sich nicht einschüchtern. Er fühlt sich nicht persönlich bedroht und fordert Zeit für überlegtes Handeln

taz: Eine katholische Kirche brennt aus, der Anschlag richtet sich gegen einen evangelischen Pastor und seine Gemeinde, die Kirchenasyl gewährt. Wie schätzen Sie diesen Zusammenhang ein?

Günter Harig: Das ist ein seltsamer ökumenischer Tatbestand. Für die Täter war das Reizwort offenbar „Kirche“, die Auswahl des Tatobjekts eher willkürlich. Sie haben irgendeine Kirche ausgewählt – vielleicht eine, zu der sie Kontakt hatten, vielleicht eine, die ganz zufällig am Wege lag.

Wie wollen Sie in Zukunft das Thema Kirchenasyl handhaben?

Genauso wie bisher. Ich sehe keinen Grund für eine Veränderung. Wir werden das erst vor wenigen Wochen eingerichtete Asyl weitergewähren. Die algerische Familie steht jetzt unter besonderem Schutz.

Ihr Name prangt an der Mauer des ausgebrannten Gebäudes. Fühlen Sie sich noch sicher?

Ich selbst fühle mich nicht bedroht. Hoffentlich irre ich mich da nicht.

Wie hatte die Lübecker Bevölkerung auf die Entscheidung Ihres Kirchenvorstands reagiert, erstmals eine Familie vor der Abschiebung zu schützen?

Unser Vorhaben hat polarisiert, wie zu erwarten war. Seit Jahren spaltet das Thema Asyl unsere Gesellschaft. So haben auch die Lübecker sehr unterschiedlich reagiert. Zum einen hatten wir sehr viele Hilfsangebote ehrenamtlicher und finanzieller Art. Daneben gab es zahlreiche deutlich ablehnende Stellungnahmen. Die einen argumentierten dabei auf einer sachlichen Ebene und nannten auch ihren Namen. Wir erhielten jedoch auch einige anonyme Schreiben und Anrufe mit üblen Beschimpfungen. Ich habe das damals aber nicht als Bedrohung empfunden.

Sehen Sie einen Zusammenhang mit den Reaktionen auf das Kirchenasyl und dem Brandanschlag?

Dazu kann ich nichts sagen. Ich weiß ja nichts über die Täter und auch nichts darüber, in welchen Zusammenhängen sie stehen. Ich könnte mir vorstellen, daß es ein momentaner Wutausbruch war. Es könnte aber auch irgendeine längerfristige Planung in einem großen Kreise dahinter stecken. Es ist jetzt wichtig, daß die Täter gefaßt werden, damit man konkret verstehen kann, warum der Anschlag überhaupt geschehen ist.

Lübecks Bischof Karl Ludwig Kohlwage hat gestern gefordert, alle rechtsradikalen Parteien zu verbieten. Würden Sie sich dem anschließen?

Ich kann solche Forderungen jetzt eigentlich nicht sinnvoll formulieren. Momentan bin ich noch zu sehr damit beschäftigt, zu begreifen, was da eigentlich passiert ist. Und ich glaube sowieso, daß das, was daraus folgt, viel, viel längere Zeit braucht, als wir uns im Regelfall nehmen. Jetzt wirbelt alles herum, jeder will etwas und spricht darüber. Aber was ist in drei Wochen, was in drei Monaten, was ist in eineinhalb Jahren? Ich finde es ungeheuer wichtig, daß man in anderen Zeitverhältnissen denkt, handelt und überlegt. Weder das Verstehen der schrecklichen Tat, noch das aus dem Verstehen folgende, hoffentlich richtige Handeln – das geht nicht so schnell. Interview: Annette Kanis