Lungentorpedos von Opa Schmidt

■ Fummelklötze und Erinnerungen: Im Übersee-Museum am Bahnhof handwerkelt Bremens letzter Zigarrenmacher

Ein Familienvater schiebt zwei Pökse energisch auf den Arbeitstisch zu. Kleine Sperrholzkisten, hölzerne Preßformen, Tabakblätter und Tabakschnipsel bedecken ihn. „Guckt mal, Jungs, da werden Zigarren gemacht.“Die Junioren sind jedoch wenig begeistert, denn bislang ist am Zigarrenmacher-Tisch im zweiten Stock des Übersee-Museums nur ein gedankenversunkener alter Herr zu sehen, der keinerlei Anstalten macht, sein Handwerk zu verrichten.

Ludwig Schmidt, Jahrgang 1908, ist nicht nur Bremens letzter Zigarrenmacher, sondern ein Mann mit Prinzipien. In breit-bremischem Zungenschlag erklärt er: „Unter vier Leute fang'ich nicht an. Sonst sabbel ich mir ja den Mund fusselig, wenn jeder einzeln kommt.“Doch auf genug Publikum muß Opa Schmidt, wie die Museumsleute ihren ältesten Schau-Handwerker nennen, selten warten. Zuschauer Nummer vier, ein Mittdreißiger, ist ein regelrechter Opa-Schmidt- und Zigarren-Fan, der öfter kommt, „um zu gucken, wie man eine gute Zigarre macht“.

Opa Schmidt legt los: Zuerst wird aus dem Umblatt und der Einlage, einer Mischung aus vier gehackten Tabaksorten, der Zigarren-Rohling gedreht. Mit flinken Fingern schnappt sich Opa Schmidt einen Fingerbreit Tabakmix. „Das müssen genau 6,5 Gramm sein, aber irgendwann hat man das im Gefühl.“Wenn zu viel Tabak oder zu viel Luft im Mantel ist, zieht die Zigarre nicht richtig. „Dann muß man mit dem Fummelklotz bei und den restlichen Tabak rausklopfen“, sagt er. Der Fummelklotz ist ein handbreites Brett mit einem Griff. Damit rollt man über die Zigarre, bis der überzählige Tabak vorne herauspurzelt. Wie sowas auf Hochdeutsch heißt, weiß Opa Schmidt nicht. Nötig ist der Fummelklotz ohnehin selten, auch diesmal ist die Tabakmenge perfekt bemessen. Die Finger kneten das Blatt, wickeln es hurtig um die Tabakschnipsel. Die Rohlinge werden in eine hölzerne Preßform gesteckt. Dort trocknen sie acht Stunden lang.

Doch so lange will Opa Schmidt nicht warten. Schon am Vortag hat er Rohlinge vorbereitet. Aus dem nachdenklichen Senioren ist angesichts der staunenden Augenpaare ein energiegeladener Akkordarbeiter geworden, der ohne Punkt und Komma vom Zigarrenmachen und von früher erzählt. „400 Stück haben wir pro Mann am Tag hergestellt“, sagt er und reißt dabei den Stengel aus dem Tabakblatt, in das der Rohling eingerollt werden soll. „Oma, Opa, Vadder, Mudder – die haben alle Zigarren gemacht. Auch die Frauen. Die wußten, wer einen Zigarrenmacher heiratet, muß helfen.“

Als Opa Schmidt noch Lui genannt wurde und gerade fünf Lenze zählte, entrippte er bereits Tabakblätter für den Großvater. Auch Schmidts Heimatort Osterholz-Scharmbeck profitierte davon, daß die Hafenstadt Bremen ein Zentrum der Tabakverarbeitung war. Hier wurden vor der Jahrhundertwende zwei Drittel aller Tabakimporte des Deutschen Reiches angelandet. Feine Herren im ganzen Reich schmauchten „Bremer Riesen“und „Bremer Schnoorstifte“, während die Zigarrenmacher ihnen als wohlorganisierte Keimzelle der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung Kummer bereiteten.

1920 hatte Ludwig Schmidt eine Lehre bei einem Zigarrenmacher begonnen. Fünf Jahre später wurde in Bremen die erste Zigarrenmaschine in Betrieb genommen. „Deshalb bin ich danach vierzig Jahre auf einer Werft gewesen“, sagt Opa Schmidt. Während des Zweiten Weltkrieges und in den Besatzungsjahren drehte Schmidt aber heimlich weiter. „Die Krauter waren ja gut zum Tauschen.“Mittlerweile hat er das entrippte Deckblatt mit den dicken Adern nach innen um den Rohling gewickelt und mit einer Mischung aus Kautschuk und Kaffee festgeleimt. Eine Kaffeetasse dieser würzigen Klebemischung reicht für 500 Zigarren.

Erst nach seiner Pensionierung hat Opa Schmidt wieder richtig mit dem Drehen begonnen – zunächst in einem Laden im Schnoor, mit fortschreitendem Alter aber nur noch auf Einladung der Museumsleute: „Die besorgen mir den Tabak. Deshalb kann ich die Selbstgedrehten nicht mal verschenken“, bedauert der Zigarren-Opa, als ein Havanna-Freund ihm die just entstandenen Exemplare abschwatzen will. Schmidts größter Stolz ist noch immer eine Kiste mit Zigarren, die er in seiner frühesten Jugend gedreht hat. Diesen Schatz hat er sein Leben lang aufbewahrt. „Zweimal habe ich die eingekuhlt. Erstmal im Krieg wegen der Bomben und dann noch mal wegen der Amerikaner. Die haben ja alles weggeraucht.“

Dieser Vorsicht ist es zu verdanken, daß Schmidt überhaupt noch einmal den Tabak in die Hand nahm und nun das Übersee-Museum mit dem würzigen Aroma der Javanesen füllt. Schließlich hatte er auch die hundert Jahre alte Tabakpresse der Familie gerettet. „Die Pressen wurden gerne zu Hause zum Heizen genutzt. Ich war einer der letzten, die überhaupt noch so etwas besaßen und wußten, wie man damit umgeht“, erinnert sich der Zigarrenmacher.

Das ist für ihn Grund genug, weiter zu drehen und Schulklassen zum Staunen zu bringen – auch wenn eine kleine Zuschauerin die Nase rümpft, als ihr der Opa einen frisch gerollten, dampfenden Lungentorpedo reicht. „Das mieft ganz schön“, sagt sie und geht auf respektvolle Distanz zu den gelben Fingern vom Zigarren-Opa. „Naja“, sagt der versöhnlich, „im Gegensatz zum Zuschauen ist das Rauchen wirklich nichts für die Lütten, würde ich mal sagen.“

Lars Reppesgaard

Ludwig Schmidt zeigt seine Drehkünste zu unregelmäßigen Terminen um Übersee-Museum. Info unter 361 92 01