Weibliche Ajatollahs

Irans Studentinnen erobern die theologischen Hochschulen. Doch bisher darf sich niemand auf eine von Frauen ausgesprochene Fatwa berufen  ■ Von Katajun Amirpur

Die Frage nach ihrem Traumberuf beantwortet die 17jährige Fatima klar und ohne zu zögern: Sie möchte Ajatollah werden. Wenn sie diese Laufbahn einschlägt, wird sie nach dem Abitur eine theologische Hochschule besuchen und damit den gleichen Ausbildungsweg gehen wie etwa Ajatollah Chomeini und der gegenwärtige iranische Staatspräsident Ali Akbar Rafsandschani; sie wird die gleichen Bücher lesen und sich mit denselben rechtswissenschaftlichen Fragestellungen auseinandersetzen, um am Ende selbst mit dem Titel Mudschtahid angesprochen zu werden, der sie auszeichnet als jemanden, der eine Fatwa, ein islamisches Rechtsgutachten, erstellen darf.

Die erste bedeutende weibliche Rechtsgelehrte der neueren Geschichte Irans war die 1984 verstorbene Nosrat Amin, Verfasserin eines 15bändigen Korankommentars. Sie hat dem Einzug der Frauen in die theologischen Hochschulen den Weg geebnet, denn die Ausbildung an sich steht ihnen zwar laut Schia seit Jahrhunderten offen, aber es ist ein Phänomen der Neuzeit, daß sie den Koran nicht nur zu Hause studieren.

Mit der islamischen Revolution im Iran stieg der Ruf der religiösen Wissenschaften. Außerdem trägt zum Zulauf der Frauen bei, daß der Unterricht in diesen Schulen kostenlos ist und die Aufnahmebedingungen weniger steng sind: ein wichtiger Aspekt in einem Land, in dem sich jährlich eine Million Studentinnen und Studenten um 100.000 Studienplätze bewerben.

Das Studium an theologischen Hochschulen ist traditionellerweise nicht formalisiert, genaue Zahlen über die tatsächliche Präsenz von Frauen in der religiösen Wissenschaft lassen sich deshalb nur schwer ermitteln. Ein unübersehbares Indiz für den Andrang der Frauen ist jedoch, daß immer mehr eigene theologische Hochschulen für Frauen gegründet werden.

Wenn sie nach 15 Jahren den höchsten Ausbildungsgrad erreicht haben, bleiben die Rechtsgelehrten oft als Forscherinnen an den Hochschulen, oder sie werden – sollten sie nur einige wenige Jahre das Studium absolvieren – als Vorbeterinnen oder Predigerinnen tätig. In den theologischen Hochschulen für Frauen wird jedoch nicht nur Unterricht in den islamischen Wissenschaften angeboten, sondern auch „Gasthörerkurse“. Die Schulen finanzieren sich zwar über Abgaben der Gläubigen, aber übernehmen hier staatliche Aufgaben, zum Beispiel durch das Bekämpfen des in den armen Bevölkerungsschichten noch verbreiteten Analphabetentums. Neben Kursen über die Staatsphilosophie Ajatollah Chomeinis gehört etwa auch Empfängnisverhütung zum Curriculum.

Die Befugnisse der weiblichen Rechtsgelehrten sind umstritten. Mit einem patriarchalischen Gewohnheitsrecht begründen die männlichen Ajatollahs, daß eine Frau zwar die Erlaubnis zum selbständigen Erstellen von Rechtsgutachten (Fatwa) erhält, von den Gläubigen jedoch nicht zur „Quelle der Nachahmung“, zur Entscheidungsinstanz in strittigen Fragen des islamischen Rechts, gewählt werden darf. Damit wären weibliche Rechtsgelehrte nicht legitimiert, auf Fragen gesellschaftspolitischer Interessen Einfluß zu nehmen.

Die konservativen Ajatollahs stützen sich auf den – auch in hiesigen Frauenzeitschriften oft zitierten – Koranvers 4, 34, in dem es heißt: „Die Männer stehen über den Frauen ...“ Eine Deutung der Sure besagt, daß es Frauen verboten sei, über Männer zu richten, und außerdem seien Frauen von Natur aus sensibler als Männer. Sie ließen sich vom Gefühl leiten, anstatt vom Verstand. Dieses Argument wird auch in der iranischen Verfassung gegen die Ausübung des Richteramtes durch Frauen angeführt. Selbstverständlich ist dieses Argument jedoch nicht, denn der erste Verfassungsentwurf aus dem Jahre 1978 enthielt diese Einschränkung noch nicht. Ajatollah Chomeini, der sich erst nach seiner Rückkehr in den Iran im Februar 1979 von dieser demokratischen Verfassung distanzierte und die Einführung der „Herrschaft des obersten Rechtsgelehrten“ verlangte, setzte seine Forderung nach dem Verbot des Richteramtes und des Staatspräsidentenamtes für Frauen sofort durch. Seine entschlossene Stellungnahme findet Widerhall in den theologischen Hochschulen, denn in Analogie zu diesem Verbot versagt man Frauen auch, als Rechtsgelehrte tätig zu werden. „Es gibt eine Reihe von administrativen Aufgaben, die für Frauen geeignet sind“, meint der einflußreiche Freitagsprediger von Qom, Ajatalloh Dschawadi Amoli, „aber die Leitung der islamischen Gemeinde bleibt den Männern überlassen, weil nur sie kritische Situationen durchstehen können.“

Die meisten jungen Theologiestudentinnen hingegen halten die naturgegebene Sensibilität der Frau für ein überholtes Ammenmärchen, das ausschließlich der Diskriminierung dient. Schließlich sei es im Islam Männern und Frauen gleichermaßen auferlegt, nach Wissen zu streben – gemäß dem Ausspruch des Propheten: „Sucht das Wissen, und wenn es in China ist.“ Sie berufen sich auch auf die als Feministin verschriene Tochter des iranischen Staatspräsidenten Rafsandschani, Faiseh Haschemi (siehe nebenstehendes Porträt): Diese ist der Auffassung, daß nicht der Islam verhindere, daß Frauen in den Richterstand treten, sondern das in der iranischen Gesellschaft herrschende Patriarchat.

Aber auch angesehene männliche Rechtsgelehrte schlagen sich auf die Seite der Frauen. Der ehemalige oberste Regierungsrevisor Ajatollah Mohaqqeq-Damad interpretiert die Aussage der zitierten Sure ausschließlich als körperliche Überlegenheit der Männer gegenüber den Frauen, denn andere Stellen des Korans belegten, daß der Koran für die völlige Gleichstellung von Mann und Frau eintrete. Nur indem man die Sure aus dem Kontext reiße, könne man sie für eine frauenfeindliche Interpretation nutzbar machen. Außerdem betont Mohaqqeq-Damad die Notwendigkeit einer modernen Deutung des Korans: „Eine andere Auslegung widerspräche der veränderten Position der Frau in der iranischen Gesellschaft.“

Die Autorin ist Iranistin und promoviert derzeit in Bamberg.