Kritik am HERRschenden Recht

■ Susanne Baer, Jura-Dozentin an der Humboldt-Universität Berlin, zieht Bilanz des Feministischen Juristinnentages

taz: Am vergangenen Wochenende tagte in Berlin der Feministische Juristinnentag. Sind Juristinnen denn überhaupt feministisch? Frauen scheinen sich in diesem Bereich nicht sehr von den Männern zu unterscheiden.

Susanne Baer: Es gibt in der Rechtspraxis keine natürliche Geschlechterdifferenz. Aber es gibt unterschiedliche Lebenserfahrungen, die zu einem unterschiedlichem Umgang mit Recht führen. Die Frauen, die daraus auch eine Kritik am geltenden Recht entwickeln, haben sich in Berlin getroffen. Das sind die, die ich als feministisch bezeichnen würde, und das werden immer mehr. Die Veranstaltung hat einen ungeheuren Zulauf an Studentinnen und sehr jungen Frauen.

Wie viele waren denn da?

Es gab etwas über 300 Anmeldungen. Das spricht für die hohe Attraktivität des Feministischen Juristinnentages. Natürlich sind Feministinnen in der Justiz trotzdem eine Minderheit, die sich bislang nur in bestimmten Berufsgruppen findet. Das gilt insbesondere für die Anwältinnen, die es am leichtesten haben, parteilich für Frauen zu wirken, und diese Veranstaltung ins Leben gerufen haben. Richterinnen, die „objektiv, neutral und gerecht“ zu sein haben, sind einem viel stärkeren Anpassungsdruck an das durch männliche Lebenserfahrung geprägte Rechtssystem ausgesetzt. Da gibt es auch das Phänomen der Überanpassung. Dieser Beruf ist nun mal eng an Macht und Herrschaft gekoppelt und kennt viele Ab- und Ausgrenzungsmechanismen. Deswegen sind Frauen auch so spät in die Justiz gekommen.

Gibt es nicht große Unterschiede bei den Richterinnen? Familien- und Arbeitsrichterinnen können qua Rolle ausgleichend wirken, während Strafrichterinnen eine durch die Strafprozeßordnung vorgegebene, männlich vorgeprägte Autorität ausüben müssen.

Die institutionelle Vorgabe an die Strafrichterinnen ist sehr rigide, das ist richtig. Trotzdem interessieren sich viele Studentinnen sehr stark für das Strafrecht, weil es als Rechtsgebiet relativ „klar“ wirkt. Insofern gibt es durchaus auch einen weiblichen Hang zum Strafrecht, aber auch Probleme vieler Frauen mit einer Rolle in der Strafjustiz. Strafrichterinnen sind zudem viel stärker einem möglichen Medieninteresse ausgesetzt. Zudem gibt es unendlich viele Beispiele dafür, wie Medien Richterinnen anders als Richter beschreiben. Einer ganz „normal“ urteilenden Richterin wird sehr viel schneller zugeschrieben, „drakonische Strafen“ zu fällen.

Wo ist denn die feministische Kritik am gängigen Recht am ausgeprägtesten?

Das läßt sich so schwer sagen, denn inzwischen ist die Themenbreite ungeheuer breit. Historisch machte sich die feministische Kritik zuerst am Familienrecht fest, dann am Sexualstrafrecht, vielleicht noch am Rentenrecht, Arbeitsrecht und Gleichstellungsrecht sind ebenfalls wichtige Bereiche.

Inzwischen geht es auch immer mehr um internationale Zusammenhänge, Multikulturalismus, Menschenrechte. Und um neue, kreative Umgangsweisen mit Recht, die Frauen für die Praxis stärken. Der mit am besten besuchte Workshop war der zum „Rechtswendo“. Die Rechtsanwältinnen Barbara Degen und Gabriele Hertel versuchten Frauen – analog zu Selbstverteidigungstechniken – Rechtstechniken beizubringen, wie sie sich juristischen Konfliktsituationen mit geschickten Ausweichmanövern und gezielt eingesetzter Energie stellen können. Das utopische Element spielt bei den Feministischen Juristinnentagen immer eine sehr große Rolle. Interview: Ute Scheub